Samstag, 1. Dezember 2018

Magda und das fast perfekte Weihnachtschaos

Eine spannende Weihnachtsgeschichte für Kinder


Oh nein! Als der Weihnachtsmann am Tag vor Weihnachten furchtbar erkrankt, soll Weihnachten dieses Jahr ausfallen. Das darf nicht sein! Magda und Alfred beschließen, Weihnachten zu retten und übernehmen heimlich selbst die Weihnachtstour an Heilig Abend. Das ist aber gar nicht so einfach, wenn man sowas noch nie zuvor gemacht hat. Während der Weihnachtsmann krank im Bett liegt, starten sie ihre geheime Weihnachtsrettungsaktion. Mit dem großen Rentierschlitten des Weihnachtsmannes machen sich die kleine Fee und ihr Freund, der Elfenchef auf dem Weg zu allen Kindern dieser Erde. Es scheint alles nach Plan zu laufen, bis ihnen am Ende ihrer Mission zufällig auffällt, dass ihnen ein unglaublich großer Fehler unterlaufen ist und sie ein riesiges Chaos angerichtet haben. Ob Weihnachten dieses Jahr tatsächlich das schlimmste aller Zeiten wird? wird?

Ein Kinderbuch für Kinder ab 5 Jahren.
Text und Illustrationen von Monika C. Schmid

Wohnzimmerlesung WORTORCHESTER


Stell dir vor, du lädst zur Lesung ein, und jeder kommt.

Noch nie war ein Abend magischer und mein Wohnzimmer voller. Noch nie habe ich glänzende Tränen aufrichtiger und buntes Lachen ehrlicher empfunden. Noch nie ging mir Applaus so balsamsanft unter die Kleidung, unter die Haut - direkt ins Herz.
Noch nie habe ich so aufmerksame Zuhörer und wertschätzende Gäste erlebt.
Noch nie habe ich mehr Dankbarkeit und Größenwahnsinn empfunden.
Noch nie habe ich von soviel WOW zu Träumen gewagt!

DANKE von Herzen für diesen unvergesslichen Abend, an jeden einzelnen von euch!
Ein Hoch auf die Fotografen/Filmmeister Tobias Raith und Ronald Schmid

Mittwoch, 28. November 2018

Herzfrequenz

Du schreist und dein Herz schlägt,
zitternd, rosa-zart-blau.
Man hält dich in den Händen
und legt dich nackt, auf diese schöne Frau,
deren Herzfrequenz sich mich deiner vereint
und heute zum ersten Mal wegen dir weint.

Diese Frau, die du ab heute Mama nennst,
die du aus Instinkt an ihrem Herzschlag erkennst.
Diese Frau, die dich in ihrem Inneren hat getragen
und ohne dich jemals davor gesehen zu haben,
hat sie dich geliebt, ab dem ersten Moment,
bedingungslos und ungehemmt.
Ungehemmt und grenzenlos,
uneingeschränkt, bedingungslos.

Diese Frau, die unter Schmerzen, DICH Wunder hat vollbracht,
und von heut an, so lang sie lebt, nun über dich wacht.
Die, die du ab diesem Moment, mehr liebst als dich selbst,
die, du für einen Teil deines Körpers noch hältst.
Du und sie, ihr beide, seid noch ein ICH.
Du bist schon ein Mensch, doch du weißt es noch nicht.

Sie wird dich durch die Kindheit,
in die Erwachsenwelt tragen.
Sie wird niemals fordern,
sie wird niemals klagen.
Sie wird dich Mensch solange tragen,
bis du kraftvoll, stark und ohne Angst
ganz von selbst deine Flügel spannen kannst,
und dich erhebst, aus ihrem sicheren Schoß,
im Geiste halb reif, im Herzen ganz groß,
und sicher fliegst über das Elternhaus,
weit, weit – in die weite Welt hinaus.


Und du fühlst dich bereit für das wahre Leben,
du willst eigene Geschichten erfinden, erleben,
willst Horizonte befliegen,
Grenzen verbiegen
unter dem Sternenhimmel liegen,
hemmungslos leben
und grenzenlos lieben.
Du willst
Aufstehn
Weggehn
Gutgehn
Abgehn
Heimgehn
Schlafengehn
Aufstehn
Weggehn
Gutgehn
Abgehn
Heimgehn
Schlafengehn.

Das halbvolle Glas nur sehn,
auf der Sonnenseite stehn,
auf sicheren Eselbrücken gehn,
und ein Kopf voller Ideen.
Alles ernten, ohne sähn,
viel bekommen, ohne geben,
viel erreichen, wenig streben.
Schlaraffenland und Garten Eden,
Lamaluma, Wonneleben.

Du sagst: „Jetzt fängt mein Leben richtig an!“
Keine Vorschrift, die dich einengen kann.
Kein bis drei Zählen,
wenn du dich nicht waschen willst,
kein Fernsehverbot,
weil du zu spät zu Haus bist,
kein „Solang du die Füße unter meinem Tisch stellst“
kein Redeverbot, weil du die Klappe nicht hältst.


Du willst
frei sein,
blank sein,
unverhüllt.
Leicht sein,
gelöst sein
selbstbestimmt.
Zwanglos,
fessellos
unbewacht,
offen,
entbunden,
splitternackt.

Du wohnst nun ganz allein
und nennst es Selbstständigkeit.
Du triffst solo Entscheidungen
und denkst es ist Entschlossenheit.
Du blickst einsam durchs Fenster
und glaubst an Weitsichtigkeit.
Du hebst dein Glas auf dich
und trinkst auf deine Unabhängigkeit.

Doch Tage kommen und Freunde gehen,
Morgen
wird heute
wie gestern vergehen.
Im Laufe der Zeit hast du die Lust längst verloren,
das Herzblut auf Freiheit, ist bald ganz zugefroren.
dieser Ruf der Ferne, die Sehnsucht nach Leben,
waren weder Erfüllung, noch Wonne, noch Segen.

Du hast die Welt durchsucht zum Erkunden,
doch hast du nie ein Zuhause gefunden.
Liebe kam oft und ist oft erlischt
Die Erinnerung daran ist schmierig verwischt.
Nie wieder war sie so
ungehemmt und grenzenlos,
uneingeschränkt, bedingungslos.
So wie die der Frau, die du längst nur noch Mutter nennst,
an die du mit der Zeit immer seltener denkst.

Die Zeit schwindet dahin, du bist in der Ferne daheim,
diese Frau wird alt, im großen Haus, mit Vater allein.
Sie steht vor dem Tore, mit der Sehnsucht im Blick
und fragt sich, wann kommt ihr Kind, nach Hause, zurück.
Und wenn du sie besuchst, dann bist du gedanklich nicht da.
Bist nur auf der Durchreise, so wie letztes Jahr,

Du sagst nein, zu noch länger bleiben,
aber ja, zu Emails und Nachrichten schreiben.
Nein zu öfter und länger besuchen,
aber ja, zu noch mehr vom leckeren Kuchen.
Du sagst nein,
nein
zu noch mehr Zeit,
zu zweit,
womöglich
aus Verlegenheit.

Und diese Frau,
die du längst nur noch Mutter nennst,
und die du als schönste Frau in deinem Leben kennst,
wird alt. Ihre Augen matt und trübe,
ihr Geist vergesslich, ihre Sinne ganz müde.
Und du lebst in der Ferne, bis irgendwann,
du merkst, dass es so nicht lang weitergehen kann.
Dann spürst du wieder diesen starken Drang,
den innerlich mächtigen, lauten Klang
diesen beruhigend süßen Gesang,
der dir seit dem Tag der Geburt ins Herz gelang.

Du machst dich auf und gehst zu ihr zurück.
Mit einem melancholisch schmerzenden Blick
siehst du sie an und spürst genau,
es wird Zeit zu gehen, für diese Frau.
Diese Frau, die du ab heute wieder Mama nennst,
die du aus Instinkt an ihrem Herzschlag erkennst.

Du weinst und dein Herz schlägt,
zitternd, rosa-zart-blau.
Du hältst ihre Hände
und legst deinen Kopf, auf diese schöne Frau,
deren Herzfrequenz sich mich deiner vereint
und heute, zum letzten Mal, mit dir weint.

Freitag, 19. Oktober 2018

Lebensschmacht


Nach der mühevollen Schlacht,
in tiefschwarz gefärbter Nacht,
hast du zärtlich und ganz sacht,
mit deiner wunderbaren Pracht,
dein großes Herz weit aufgemacht,
und meines liebevoll bewacht,
… es beschützend überdacht.

Und ich sag, in Anbetracht
deiner starken Liebesmacht,
bin ich langsam aufgewacht,
erneut geatmet, erneut gelacht.
Feiernd unsere Zeit verbracht,
ohne Obacht, ohne Acht,
ohne Schwer, alles leichtgemacht,
uns verstanden, uns verkracht,
uns geliebt, nichts vorgemacht,
nie ans Aufgeben gedacht.

Und nach jeder schwarzen Nacht,
bestätigt sich mir der Verdacht,
in uns steckt so viel Lebensschmacht,
die reicht für hundert Jahre Schlacht.

jene Momente



Es sind jene Momente, in denen wir die Schranken der Wirklichkeit verlassen und der Ballon der Gedanken ins unermessliche steigt...


Im Angesicht der Schuld

(Leseprobe)

Die nasse Straße glänzt im Schein der Straßenlaterne unter der ich stehe. Dass es schon so früh dunkel wird, hatte ich beim Zusagen unseres Treffens nicht bedacht. Irgendwie erscheint mir die Dunkelheit heute ziemlich unheimlich. Vielleicht, weil sie mich an jene Nacht erinnert, seit der nichts mehr so ist, wie es mal war. Viel lieber würde ich jetzt mit einer heißen Tasse Grog am Kaminfeuer sitzen und die Rolling Stones hören. Matilda wird sicherlich bald da sein. Und der Regen. Er steigert sich in ein monotones Stakkato hinein. Immer lauter prasselt er auf meinem Mantel hinab. Ich ziehe den Kragen mit eiskalten Fingern bis unters Kinn.
Vor einem Jahr genau hatte ich Matilda zum letzten Mal gesehen. Es war viel kälter als heute. Zitternd stand sie stundenlang im wabernden Novembernebel und weinte. Irgendwann, es muss schon um Mitternacht rum gewesen sein, legt sie eine gelbe Rose auf mein Grab, und ging, ohne ein Wort zu sagen, davon. Wieso gelb, wo sie doch wusste, dass ich diese Farbe hasste. Aber ich war dankbar, dass sie damals da gewesen war. Man sagte mir, ich muss sie heut abholen. Und ich bete immer noch, dass sie nicht kommt....

Hand aufs Herz

Wenn Hand aufs Herz nur ein Griff ins Leere ist
und man beim Einatmen das Ausatmen vergisst. 
Wenn man beim Selbstgespräch, die Sprache nicht kennt 
und vor dem eigenen Schatten in die Finsternis rennt.
Wenn sich hinter der eigenen Maske kein Gesicht mehr verbirgt, 
und die Stille über Nacht an Lärmbelästigung stirbt.
Wenn Gedanken die träumen keinen Spaß mehr verstehn
Und wache Augen nur noch schwarz-weiß Bilder sehn.
Wenn das einzig Echte, die Falschheit ist
und die beste Verschwörung ihre Theorien vermisst.
Wenn der Sinn des Daseins am seidenen Faden hängt,
dann hat einem das Leben reinen Wein eingeschenkt.


by Monika C. Schmid/ Autorin

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Ein Bild

Ich hab' ein Bild gesehen
- ein Foto, schon sehr alt,
schwarz-weiß, vergilbt, mit umgeknicktem Rand.
Ein altes Bild, ich legt` es weg - doch dann,
dann zog das Bild mich magisch an.
Was will dies' Bild mir denn wohl sagen?
Es spricht mich an, weckt tausend Fragen!

Ich hab' ein Bild gesehen
- ein Mädchen im Sommerkleid.
Sie steht da und lacht im Schatten der Zeit.
Der Wind ihren Blick durch die Lüfte weht,
und sie mit Liebe verziert, wie ein Poet.
Dies' Bild entstand wohl in einem Augenblick,
einer kurzen Sekunde voller Lebensglück.

Ich hab' ein Bild gesehen
und es sprach mit mir -
so viele Geschichten auf diesem Stück Papier!
Wen sieht das Kind an, mit so viel Magie?
Ein Blick voller Frieden und Poesie.
Ihr Lächeln - so zaghaft und verträumt im Gesicht;
Die Atmosphäre des Bildes - ein wahres Gedicht.

Ich hab' ein Bild gesehen
– es ist mir vertraut,
denn stundenlang hab' ich es mir angeschaut.
Ich hab' mit dem Mädchen gesprochen und gelacht;
So eng vertraut, als hätt' ich's schon immer gemacht.

Der Zauber ihrer Augen nahm mich mit in den Traum,
zurück in eine Welt, in einem vertrauten Raum!
Ich lies mich umarmen, von der Unendlichkeit
und schwebte an den Ort vor meiner Zeit.
Ja diese Welt im Traum,
so eine Ähnlichkeit!
So unglaublich schön;
Es war die Vergangenheit.

Ja ich hab' ein Bild gesehen
und das Mädchen darin- so elegant,
das ist meine Oma – hab sie aus Liebe erkannt!
Sie blickte auf ein langes, erfülltes Leben zurück
und es war dabei nicht nur immer Glück.
Doch eines hatte sie sich über die Zeit bewahrt,
es war ihr Lachen, offen, herzlich und doch so zart.

Ich hab' ihr Bild gesehen
und nun kann ich mein Leben verstehen!

(2005 - In ewiger Erinnerung an Dich, liebe Omi)
Bildquelle: Originalbild meiner Oma, 1936
© Gedichte/Poems by Monika C. Schmid

Montag, 17. September 2018

Elly Fraser - das verschollene Mädchen


(Leseprobe) 

Plötzlich riss sie die Augen auf uns schnappte erschrocken nach Luft. Ein leises Zischen entwich nur ihren ausgetrockneten Lippen. Im Glanz ihrer Tränen spiegelten sich dunkle Regenwolken, die schwer und bedrohlich über ihr hingen. Erneut versuchte sie nach Luft zu ringen, doch ihre Lungen ließen nichts als ein weiteres Zischen zu. Sie zitterte am ganzen Körper. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in den Himmel. Sie bohrte verkrampft ihre Finger in die matschige Erde, doch sie konnte keinen Halt finden. Schwindel überkam sie und drückte sie noch tiefer in die Erde, auf der sie lag. Der Regen fiel prasselnd auf sie hinab und wusch die blutigen Flecken ihres Kleides sauber. Ihre schweren Augenlider schlossen sich. Ihre Brust senkte sich und hob sich nicht wieder.

„Das macht dann genau 27,95 Pfund, bitte!“, sagte die Verkäuferin und öffnete die Hand. Sie lächelte ihn an. Marc blickte zur Seite und legte das Geld auf das Laufband. „Stimmt so!“ sagte er abwesend, und verschwand mit seiner überfüllten Einkaufstasche in der Menschenmenge. Überrascht hob die Verkäuferin den 50 Pfund Schein auf und schrie ihm hinterher: „Hallo Sir! Hallo! Sie bekommen noch Wechselgeld!“ Doch Marc war schon weg. Vor dem Supermarkt wartete Samir mit laufenden Motor auf ihn. „Fahr los“ befiel Marc hektisch und ließ sich auf dem Beifahrersitz aufatmend fallen. Er stellte die Einkaufstasche zwischen seine Beine ab und kramte zwei Dosen Energy heraus. „Hau rein“ sagte er und hielt Samir eine Dose vors Gesicht, „und gib Gas!“
Die Kohlensäure vom Energy zischte hungrig, während er den Verschluss öffnete. Mit müden Lippen fing er den auslaufenden Schaum auf und blickte starr auf die Straße. „Elly“ flüsterte er abwesend. „Elly, wo bist du nur?“


Die Bernsteinschwestern

(Leseprobe)


„Lauft weiter, Olivia! Lauft!“
Mit ihren großen Körben voller Äpfeln lief die alte Gritt hinkend an Olivia vorbei und blickte erschrocken zurück. „Lauft weiter, bleib auf keinen Fall stehen, hörst du! Bleib auf keinen Fall stehen!“
„Ja!“ Schrie Olivia ohne aufzublicken, „Ich, ich laufe ja! Wir laufen!“
Doch da war die Alte schon längst abgebogen und hinter der Straßenbahn ganz verschwunden.
Olivia lief weiter geradeaus. An einer Hand zog sie Betty hinterher, an der anderen die kleine Lotte, die mit ihren kleinen Füßchen schon gar nicht mehr den Boden zu berühren schien. Olivia schnappte sich ihr Kleinstes im Fluge und schwang sie sich kraftvoll auf die Hüfte. Sie hoffte verzweifelt, so schneller voran kommen zu können. „Betty, mein Schatz, du musst schneller laufen!“ flehte sie keuchend ihre ältere Tochter an und zog sie noch schneller hinter sich her. Die Mütze war der Kleinen längst verrutscht und hin ihr tief ins Gesicht. Durch das holprige Laufen auf dem unebenen Kopfsteinpflaster zitterten ihre Wangen und die Tränen, die ihre Augen füllten, fielen wie tonnenschwere Granaten auf ihrem türkisfarbenem Mantel.
„Ich kann nicht mehr! Mama, ich kann nicht mehr!“ wisperte Betty stotternd vor sich hin und wischte sich mit ihrer Stoffpuppe über das Gesicht, während sie immer einen Schritt hinter ihrer Mutter lief, die sie rasend hinter sich herzog. Olivia fragte sich, seit wann Lotte nur so schwer geworden war. War sie doch vor eineinhalb Jahren noch gar nicht geboren. Mit jedem Schritt, den die drei gemeinsam durch die Straßen rannten, legte sich die schwere Last der Knochen wie ein Bleimantel über ihre Körper.
Es schien, als würden die Sterne aus dem Weltall hinunterfallen. Der Himmel teilte sich in Milliarden leuchtenden Kugeln, die hell leuchtend gegen die Erde schossen. Sie knallten mit lauten Zischgeräuschen in den Boden und hinterließen große, brennende Löcher.
Olivia und all die anderen Menschen in der Stadt liefen. Sie liefen um ihr Leben, wie kleine Schachfiguren geführt von einer riesigen Hand zwischen den von oben herabfallenden Feuerkugeln.
Olivia und ihre Mädchen wussten nicht wohin. Nur gerade aus, der Menschenmenge hinterher.
Ein Feuerball traf die Straßenbahn, die wie ein tosendes Feuerwerk in Feuer aufging. Ein Meer von Äpfeln wurde durch die Luft gewirbelt und fanden ihre Ruhe direkt vor Olivias Füßen. „Die Alte! Oh Gott, die alte Gritt!“ wimmerte Olivia mit weit aufgerissenen Augen. Tränen schossen ihr empor.  Erschrocken riss sie Betty ganz nah an sich ran und wendete mit ihren Töchtern. Sie bog in eine enge Seitenstraße ein, deren Dächer so nah beieinanderstanden, dass die Feuerbälle vom Himmel wenig Durchgang fanden. „Mama, wir müssen bei den Menschen bleiben, hat die Alte gesagt.“ Olivia liebt Bettys gerechte und oft belehrende Art und Weis, jedoch nicht an diesem Tag. Nicht heute. „Mama, wir laufen falsch!“ Schrie Betty ihre Mutter mahnend an und riss sich will von Mutters Hand weg.
Olivia blieb stehen und starrte Betty an. „Bückt euch!“ erschrocken vom lauten Knall eines herunterfallenden Balkens, drückte Olivia plötzlich ihre Kinder fest gegen eine Hausmauer, schutzsuchend unter einem breiten Dachvorsatz des halb abgebrannten Barbiershops. Schützend beugte sie sich über beide Mädchen und presste die Gesichter der Kinder fest an ihre Brust. Betend blickte sie nach oben, wie die Feuerbälle kreuz und quer über sie hinwegflogen. Sie hörte die verzweifelten Schreie der Menschen auf den Straßen. Ein brennender Mensch lief schreiend an ihnen vorbei, bis er sich in den Pfützen der nassen Stadt aufgegeben hatte. „Mami, ich habe Angst! Wann hört das auf?“ – „Gleich Schätzchen“ flüsterte Olivia leise weinend und stich Lotte sanft mit ihren Lippen über die Stirn. „Gleich!“




Das Mädchen Suri

(Leseprobe)

„Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.“ Seine Stimme klang ungewohnt kraftlos. Seine Augen musterten sie unruhig. „Es tut mir leid, ich dachte, …“ Sie drehte den Kopf beschämt zur Seite und blickte in die weite Ferne hinaus.
„Suri,“ sagte er kaum noch hörbar und griff verlegen nach ihrer Hand. Doch sie zog ihre Fingerspitzen aus seinen Fängen blitzartig zurück und versteckte sie, unter den Spitzen ihres Kleides, in ihrem Schoß. Er beobachtete, wie sich das Azur ihrer Augen mit plötzlich aufsteigenden Tränen vermischte und in der Abendsonne wie ein Malahit glänzten. So wunderschön war Suri, sogar wenn sie weinte.
Sie saß, mit angezogenen Beinen unter der alten Linde am Felsenvorsprung von Galtymore, wo letzten Sommer alles begann. Dort, wo sie jenes Geheimnis entdeckten, das die Menschheit seit über 7 Jahrtausenden vergessen hatte. Er sah Suri traurig an und spürte, dass ab heute nichts mehr so sein wird, wie es mal war.
Er kniete sich langsam vor sie ins Gras, das von sanften Wind wie in Trance geschaukelt wurde. Sie schaute ihn nicht an, ihr Blick war in der Ferne festgefroren. Suris Tränen fanden ihren Weg über die Wangen und fielen tonnenschwer auf ihr weißes Kleid. Zärtlich wollte er ihr eine Träne wegwischen und strich sanft mit seinen Fingern über ihre Wange. Entsetzt sprang Suri plötzlich auf. Ruby verlor dabei sein Gleichgewicht und viel rücklings ins Gras. Erschrocken sah er Suri an und hatte zum ersten Mal dieses fremde Gefühl des Unbehagens. Er fesselte sie kurz mit seinem fragenden Blick. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, drehte sich Suri um und stürzte sich ohne Vorwarnung vom Klippenvorsprung hinab.
„Suri! Nein!“ Auf allen Vieren krabbelte Ruby zum Felsenvorsprung. Er hielt den Atem an und blickte erschrocken in die Tiefe. Suri schoss wie eine Rakete Richtung Erde. Ihr langes rotes Haar flatterte ihr hinterher. „Suri“ sagte er ein letztes Mal, bevor sie kurz vor der Erde ihre Flügel ausbreitete und kehrt wendend zurück in den Himmel flog. Weit weg, durch die Wolken hindurch, als wäre sie nie dagewesen.

Mittwoch, 20. Juni 2018

Der fremde Mann und ich


oder: 
Der Tag, an dem ich anfing, mein Handy wegzulegen



„Noch einen Espresso bitte!“  Seine sanfte Stimme erinnert mich an jemanden aus der Vergangenheit. Sie erweckt augenblicklich ein schönes, vertrautes Gefühl in mir. Ich unterbreche das Tippen auf meinem Handy und blicke hoch.

Am Tisch vor mir sitzt ein älterer Herr, so um die sechzig, der mit der Kante seiner Handfläche die Tischdecke glatt streift. Ein Mal, zwei Mal und ein drittes Mal. Ganz langsam und konzentriert. Er beobachtet die Tischdecke und streicht ein viertes Mal zufrieden über die glatte Oberfläche. Er verschränkt seine Arme vor die Brust und lehnt sich langsam in seinem Stuhl zurück. Die langen Beine streckt er überkreuzt vor sich aus. Er trinkt jetzt von seinem Espresso und blickt nach lange danach in seine Tasse hinein, bevor er sie absetzt. 

In meiner Hand vibriert eine eingehende WhatsApp Nachricht gleich 5 Mal hintereinander. Fotos, meine Freundin schickt Fotos von ihrer Kreuzfahrt. Ich scrolle mich hastig durch die Fotos hindurch und kommentiere sie mit einer Aneinanderreihung von lachenden Emoticons und jenen mit Herzaugen. Darauffolgend ca. 12 Daumenhoch und zwei Schiffemoticons. Nach dem ich eine gefühlte Ewigkeit nach diesem Schiff gesucht habe, sende ich es ihr auch gleich zwei Mal.

„Danke sehr, das ging aber schnell!“ Erneut trifft mich diese ruhige Stimme mit einer unwahrscheinlichen Attraktivität darin, so sehr, dass sie mich vollends aus meiner digitalen Welt reißt. Ich blicke verstohlen zu dem Mann hinüber, der meine Aufmerksamkeit vereinnahmt. Unsere Blicke streifen sich und halten sich kurz fest. Er lächelt mich unverfänglich an.

Ich lächle automatisch zurück und lenke mich schnell wieder mit den neuesten Stories meiner Freunde auf Instagram ab. Lydia zeigt ihr neues Outfit in sieben unterschiedlichen Posen, Jon hat sich soeben beim Italiener eine gigantische Rucolapizza bestellt, die nicht auf seinem Teller passt und Ella und Mia winken vom höchsten Berg im Bayerischen Wald fröhlich in die Kamera.

Ich merke plötzlich mehr und mehr, wie sehr mich der Mann am Tisch vor mir ablenkt. Ich spüre seine Blicke, die mich zwar berühren, aber nicht stören. Was ist das? Wieso ist das so? Ich trau mich nicht mehr, zu ihm rüber zu schauen. Stattdessen blicke ich einfach mal nach links, am Doppeltisch neben mir. Hier sitzen fünf Mittdreißigerinnen, die sich sehr amüsiert über die Hochzeit von Paul und Michaela unterhalten und sich gegenseitig unterschiedlichste Videos von diesem Fest zusenden. Alle vier gucken, laut gackernd in ihre Handys, was sehr merkwürdig auf mich wirkt. Mit gesenkten Blicken auf ihren Smartphones lachen und quatschen sie angeregt in die Runde.

Wie ferngesteuert gucke ich erneut zum älteren Mann hinüber. Nur kurz gucken, ob er auch guckt, denke ich mir heimlich.  Er beobachtet aber gerade ebenfalls die vier Freundinnen. Ich nutze die Situation aus und starre ihn an. Ich kann nicht anderes. Er trägt ein dunkel grünes Polohemd und eine Bluejeans. Seine Haare sind gelockt und fallen sehr elegant in den Nacken. Auf dem Tisch liegen eine Sonnenbrille und ein Autoschlüssel. Er ist weder hübsch noch ist er unansehnlich und dennoch zieht er mich irgendwie magnetisch an.

„Passt alles bei Ihnen?“
„Ja, danke, alles gut!“ antworte ich der Bedienung hastig und vertiefe mich erneut in mein Handy. Auf Pinterest gibt es 50 neue Pins zum Thema „Backen ohne Zucker“ und…. Oh wie toll, Amazon hat meine, soeben bestelle Handyschutzhülle mit Indian-Sun-Design, bereits abgeschickt. Im Emaileingang liegen schon wieder 4 ungelesene Nachrichten und oh nein, meine ersten Rosen im Garten, die ich vor einigen Minuten auf Facebook gepostet habe, haben erst 2 Likes bekommen. Von einer alten Kindergartenfreundin, die alles liked und meiner Mama. Die, zugegebenen Maßen, auch alles von mir liked.
An einem der Tische spielt ein Kind mit seinem Dinosaurier um den dampfend heißen Kaffeebecher der Mutter herum. Er lässt den Dino fest am Tisch hüpfen und macht komische Bellgeräusche dazu. Ich glaube er sagt mit einer unwahrscheinlich hohen Frequenz immer: „Mama, Mama, Mama, Maaama, Maaaaaaaaama!“ Er nervt. Ich halte mein Handylautsprecher ganz nah an mein Ohr, um die Sprachnachricht auf WhatsApp von meiner Schwester besser verstehen zu können. Oh, der Lidl hat Dattelsirup im Angebot. Muss ich gleich mal zwei Flaschen online bestellen. Der Dinojunge bellt und der Tisch wackelt schon. Wieso sagt denn seine Mutter nicht endlich etwas? Ein einfaches „Ja!“ würde ja schon reichen. Er kreist immer wilder mit seinem orangen Vieh um den Kaffeebecker der Mutter. Diese lässt sich nicht ablenken und tippt weiterhin fleißig in ihr überdimensional großes Handy. Sie lächelt und scheint in einer komplett anderen Welt zu Hause zu sein. Klein Dinobübchen bellt weiterhin „Mamaaa“, hoppelt mit dem Tier ganz wild am Tisch herum, der Kaffeebecker kommt zu wackeln und kippt der Mutter, über das Handy, in den Schoß. Sie springt schreiend auf. Dinobello weint. Die Bedienung eilt mit Tüchern herbei. Irgendwie freut mich das jetzt. Es ist endlich Ruhe.

In mein Handy kommt ein neuer Facebook Post von Matthias Schweighöfer hereingeeilt. Ich tippe auf Play und gucke mir seine Shortstory an. „Liebe Grüße vom Meer. Der Wind weht mir die Frisi durcheinander!“ Ich lächle. Wie toll der doch ist. Ich like.
Wie von fremder Hand bewegt, erhebe ich meinen Blick zu diesem älteren Herrn. Oje, er guckt mich auch gerade an. Unsere Blicke kreuzen sich. Sie kreuzen sich nicht nur, sie verschlingen sich ineinander, miteinander, untereinander und dann wieder auseinander. Ich lächle so richtig dämlich weiterhin vor mich hin.

„Was ist denn so interessant in Ihrem Handy, wenn ich mir die Frage erlauben darf?“ Hat er soeben mit mir geredet? Hat diese wunderbare ruhige und fesselnde Stimme soeben mich etwas gefragt? „Ähm, so Zeug halt!“, höre ich mich gerade sagen, während ich eine total sinnlose und unkoordinierte Handbewegung durch die Luft mache. Zeug? Was sag ich da? Ich habe noch nie Zeug zu etwas gesagt. Warum gerade heute? Hoffentlich hat er es nicht gehört.

„Zeug?“ fragt er lächelnd. „Sie beschäftigen sich seit über vierzig Minuten mit Zeug im Handy?“ Er setzt sich interessiert aufrecht und hebt erwartungsvoll die Augenbrauen. Sein Blick mustert mich. Jetzt fällt mir auf, wie sympathisch er wirkt. Ich weiß nicht, was ich ihm antworten soll. Ja, womit habe ich mich denn die letzten wohl vierzig Minuten tatsächlich beschäftigt? Ok, ich habe einen Cappuccino und ein Wasser getrunken und eine Kugel Joghurt Eis gegessen, ohne Sahne und ohne Waffel. Und, was noch? Ich habe gescrollt. Jawohl, gescrollt. Ich habe die letzten fucking vierzig Minuten sinnlos durch mein Handy rauf – und runter gescrollt. Ich kann mich aber an nichts mehr erinnern. Ich habe gerade einen mega Lapsus. Oh Gott, wo ist mein Hirn?

Ich setze mich aufrecht und stütze meine Ellenbogen, in Erwartung auf meine eigene Antwort, auf die Tischplatte ab. Irgendetwas sagt mir gerade, dass ich gefangen bin. Gefangen im eigenen Netz der ausweglosen Irrfahrt durch eine selbst verursachte digitale Abhängigkeit. Und dieser tolle Mann spiegelt mir gerade mein Labyrinth. Wer hat ihn geschickt? Gott?

„Darf ich?“ er deutet auf den freien Platz neben mir und erhebt sich von seinem Stuhl. „Ähm, ja klar, bitte!“ Ich rutsche ein bisschen beiseite. So, ca. zwei Zentimeter.
„Am liebsten,“ sagt er „sitze ich einfach nur da und genieße meine Umgebung.“ Ich gucke ihn an und nicke flüsternd: „schön!“. „Ich rieche den Duft der Lindenbäume, die gerade blühen, ich trinke von meinem Kaffee und schmecke ihn und ich höre dem Wasser im Springbrunnen da hinten zu!“
Ich drehe mich schnell um. Ein Brunnen? Wo? Tatsächlich, da! Gleich rechts hinter mir, da steht ein Springbrunnen. Ein kleiner nackter Steinjunge pinkelt in einem See. Wer hat sich denn sowas ausgedacht? Kunst? Na gut, Kunst. Ok, tatsächlich ein Brunnen. Stand er die letzten 40 Minuten auch schon da? Ja? Nein? doch? 
Komisch, jetzt höre ich ihn auch.
„Wann haben sie eigentlich das letzte Mal so etwas getan?“, fragte er lächelnd. „Einen Springbrunnen hören?“ frage ich total dämlich. „Nein“ sagt er augenzwinkernd, „einem Springbrunnen zuzuhören!“

Beschämt senke ich den Blick. „Ich weiß es nicht mehr, … ich kann es wirklich nicht sagen!“

„Dann legen sie doch mal ihr Handy weg, wenn sie nicht auf Arbeit sind!“ sagt er und steht auf. „Vielleicht entdecken sie den ein oder anderen alten Zauber wieder!“ Verblüfft sehe ich ihn an und beobachte, wie er sich gemütlich vom Stuhl neben mir erhebt und ihn zur Seite schiebt.
„Ich wünsche ihnen noch einen wunderschönen Tag. Ihr Lächeln ist so großartig, zeigen sie es doch lieber der Welt da draußen und nicht nur ihrem Handydisplay!“ Ich bin verwirrt und suche nach einer passenden Antwort. Ich finde keine. Ich nicke nur verlegen und forme ein tonloses "Dankeschön!" mit meinen Lippen.

Mit einer respektvollen Abschiedsgeste geht er zu seinem Tisch, legt einen 20 Euroschein neben seine Espresso Tasse, winkt der Bedienung freundlich zu und schlendert langsam über die Terrasse des Cafés in den Park hinaus. Er zupft im Vorbeigehen eine tief hängende Lindenblüte und riecht daran. Ich blicke ihm noch lange nach. 

Zwei eingehende Nachrichten vibrieren im Sekundentakt in meiner Hand. Ich lege das Handy weg und verschränke meine Arme vor die Brust, lehne mich langsam in meinem Stuhl zurück und strecke meine Beine überkreuzt vor mich hin. 

Gedankenvoll höre ich dem Springbrunnen noch eine ganze Weile lächelnd zu. 

Text und Bild @ Monika C. Schmid 



Mittwoch, 13. Juni 2018

Eine Ziege, ein Wolf und drei sympathische Zicklein

eine Theaterrezension



Regisseurin Simona Vintilă lässt in Sibiu ein altes, wohlbekanntes Märchen im neuem, modernem Charme auferstehen.


Premiere: im Theater für Kinder und Jugendliche „Gong“ in Sibiu am 04. Juni 2018.
Altersempfehlung:  ab 5 Jahren.
Darbietung: in deutscher Sprache mit rumänischem Untertitel.
Regie: Simona Vintilă; Bühnenbild: Zsolt Fehérvári; Musik: Alex Halka; Maske: Lucia Preda. Besetzung: Angela Páskuy, Andrei Hansel, Claudia Stühler, Adrian Prohaska, Jenö Major
Dauer: 40 Min.

Das Theaterstück „Eine Ziege, ein Wolf und drei sympathische Zicklein“ ist eine moderne Neufassung des Märchens „Die Geiß mit den drei Geißlein“ des rumänischen Schriftstellers Ion Creanga (1875). Ebenso ist das Märchen in abgewandelter Form als „Der Wolf und die sieben Geißlein“ aus der Brüder Grimm Sammlung (1812) bekannt.

Das alte Grundsatzmärchen
Dieses Kindermärchen, in all seinen Abwandlungen, gehört, wie auch "Rotkäppchen", zu den so genannten Warnmärchen, die die Kinder durch Abschreckung und die Darstellung möglicher Folgen unter anderem auf Gefahren aufmerksam machen sollen, um diese Gefahren erkennen und vermeiden zu können. Darüber hinaus sollen die Kinder aus solchen „Grundsatzmärchen“ nützliche Lektionen für ihr ganzes Leben lernen, weil sie eine Metapher für die Existenz und das sinnvolle Zusammenwirken von Gut und Böse darstellen.

Die zentrale Aussage darin ist immer dieselbe: „höre auf deine Eltern, damit dir nichts Böses passiert!“

Die moderne Neufassung eines alten Märchens
Simona Vintilă hat sich für eine weniger grausame Darstellung entschieden, die aber aufgrund ihres zeitgenössischen Bezugs der Moral und der damit verbundenen Lehre im nichts nachsteht. In einem sehr modernen Setting ergreift die neuerfasste Darstellung des Märchens sein junges Publikum zielgenau. So schaffen Computerspiele wie Minecraft, das Einkaufszentrum „Mall“ oder die Benutzung des Handys den Bezug zum 21. Jahrhundert sehr gut und erzeugen damit einen authentischen Spannungsbogen zwischen Märchen und Wirklichkeit. Gut eingebettete Witze, Humor, Musik und Lichtspiele lassen die Ernsthaftigkeit des Themas zwar punktgenau wirken, mindern jedoch latent die Grausamkeit der Geschichte.


Die drei Zicklein werden im häuslichem Umfeld von der Geißenmutter geschützt und versorgt. Jedoch, wie Kinder nun mal so sind, hören sie oft nicht auf die Mutter, spielen lieber Computerspiele anstatt aufzuräumen, streiten miteinander und bringen den häuslichen Segen ständig zum Schwanken.
Während die Geißenmutter beim Einkaufen ist, steht der Wolf, ihr Patenonkel, vor der Tür.
Die Kinder befolgen die Anweisung der Mutter, niemanden ins Haus zu lassen, nicht, lassen sich vom Wolf täuschen und gewähren ihm somit Einlass. Sie spüren zwar schnell, dass dieser Besuch Gefahr mit sich bringt, vertrauen dem Wolf aber auch gleichzeitig, weil er ja ihr Patenonkel ist.  Der Wolf nutzt ihre Naivität und innere Zerrissenheit aus und frisst – anscheinend, die zwei Ältesten auf. Das jüngste Geißlein kann sich vor ihm retten und wird von der Mutter gefunden. Doch die Mutter scheint einen Plan zu haben. Sie lädt den Patenonkel zu sich zum Essen ein und betrauert mit ihm den Verlust ihrer Kinder. Erst als das jüngste Zicklein den Wolf als Übeltäter entlarvt, findet die Geschichte eine unerwartete Wendung und liefert eine starke, nachhaltige Moral.
                                                                                                                 
Das Märchen stellt Unerfahrenheit/ Kindlichkeit in den Erlebnisrahmen mit „Gut und Böse“. Ein uraltes Thema das sich durch den Wandel der Zeit nicht im Geringsten verändert hat.

Simona Vintilă spannt gekonnt den Bogen von der Ursprungsmoral des Märchens: „Das Böse kommt durch Schlauheit ans Ziel und nimmt sich das, was schwach ist. Klugheit ist die Stärke des Guten, sich mit dem Bösen auseinanderzusetzen“ weiter und vermittelt, dass Kinder, in ihrer unterfahren und hilflosen Position, oft erst durch eine ernüchternde (Selbst-)Erfahrung zu der Erkenntnis kommen können, dass sie ohne die schützenden Anweisungen und Anleitungen ihrer Eltern noch nicht alleine überleben können. Wirklichkeit steht in dem Spannungsbogen zwischen Gut und Böse.

Inhaltliche Gestaltung
Die Handlung spielt im Hausinnerem der Geißenfamilie. Zsolt Fehérvári bedient sich einfachster Mittel für ein aussagestarkes Bühnenbild und gewährt somit eine uneingeschränkte Konzentration des Publikums auf den Handlungsverlauf, ohne visuelle Ablenkungen. Bunte Würfel stehen exemplarisch für das Interieur des Hauses, welche ständig, je nach szenischer Handlung wechselt. Die Darsteller selber verändern das Bühnenbild im Szenenverlauf durch spielerisches Verschieben der Würfel und nehmen den Zuschauer somit ohne Unterbrechung nahtlos durch die Szenenwechsel mit.



Die Geißenmutter
verkörpert „das Gute“ in unserer Wirklichkeit und möchte sie vor der Wirklichkeit des Bösen bewahren. Sie beschützt ihre Kinder, versorgt und behütet sie. Da ihre Ratschläge jedoch die Erfahrung nicht ersetzen, bedient sie sich in der Neuverfassung von Simona Vintilă eines lehrreichen Plans um den Kindern eine Lektion zu erteilen. Angela Páskuy spielt die Rolle der liebenden und fürsorglichen Mutter sehr authentisch und schafft es, durch die Ausdrucksstärke in ihren Worten viel Nachdruck und Vertrauen zum Guten zu verleihen.
Die eingesetzte Musik von Alex Halka macht die Aufführung lebendig und spannend, vor allem, weil die Darsteller alle gut singen können. Mit dem Lied „Mama ist hier, fürchte dich nicht vorm Bösewicht…. Keine Angst, das schaffen wir…“ schafft Angela Páskuy eine wundersam hoffnungsvolle Stimmung im Publikum. Es zeigt sich ein sanftes Regen zwischen den Zuschauern. Väter greifen nach der Hand ihrer Kinder, tätscheln sie sanft. Mütter wiegen ihre Kleinen auf ihrem Schoß im Gleichklang der Melodie. Eine Mutter schluckt schwer ihre Tränen hinunter, ein kleines Mädchen flüstert glücklich: „Ja, Mama ist jetzt hier…“, Angela Páskuy, die Geißenmutter singt weiter.



Die drei sympathischen Zicklein,
gespielt von Andrei Hansel, Claudia Stühler und Adrian Prohaska schaffen es auf wundersame Weise, die unterschiedlichen Charaktere der Kinder und ihre Gefühlswelt gut und nachvollziehbar zu transportieren. Während die zwei älteren Zicklein rebellisch, abenteuerlustig sind und ihre Grenzen austesten wollen, gibt sich das jüngste als „angepasstes Kind“. Adrian Prohaska spielt Mamas Liebling, brav, ruhig und verhält sich regelkonform. Die zwei Großen, in den Rollen mit Andrei Hansel und Claudia Stühler zeigen einen sehr aktiven und bewegungsaufwändigen Auftritt, gespickt mit sehr viel Mimik und Gestik, die von beiden gekonnt und sehr authentisch auf dem Punkt genau eingesetzt werden können. Auffallend ist die harmonische Interaktion zwischen beiden Darstellern, die die Zuschauer vergessen lässt, dass es nur ein Schauspiel ist.




Der böse Wolf
verkörpert zunächst, wie erwartet das „Böse“ und kommt mit einer arglistigen Täuschung an sein Ziel.  In dieser Neuffassung von Simona Vintilă mindert jedoch das Attribut des „Patenonkels“ die ihm zugeteilte Boshaftigkeit und vermittelt somit unterschwellig die Hoffnung, das Böse sei doch nicht so böse, wie befürchtet.  Simona Vintilă lässt den Zuschauer also bis kurz vor dem Ende des Theaterstückes im Zweifel über den wahren Charakter des Wolfes. Jenö Major spielt einen hervorragenden Wolf. Gerissen, wahnsinnig, machtvoll, manipulierend und angsteinflößend. Sein Einzug auf die Bühne, auf einem Hoverboard im Kegellicht „schwebend“, ist für alle Zuschauer, ob Jung oder Alt, ebenso aufregend wie unvergesslich. Solang der Wolf auf der Bühne ist, hält das Publikum den Atem an.



Auffallend ist die deutliche, klare und gut verständliche Aussprache aller Darsteller. An manchen Stellen des Stückes hat man sogar das Gefühl, dass die Schauspieler selbst mit dem Theaterstück verschmolzen sind. Z.B. als das mittlere Zicklein, gespielt von Claudia Stühler im Beisein des Wolfes zittert und wimmert und dessen Hand unfreiwillig küssen muss, oder als Jenö Major, der Wolf, hungrig über die Bühne streift und den Zicklein Angst einflößt.


Ein klares Lob geht auch an die Maskenbildnerin Lucia Preda, die es wunderbar geschafft hat, aus schönen Menschen glaubwürdige Tiere zu verwandeln. Die Outfits der Tierdarsteller sind alle samt sehr zeitnah und altersgerecht zusammengestellt. Die Schminke und der „Kopfschmuck“ dezent und authentisch.

Alles in allem ist das also eine gelungene, zeitgenössische Interpretation eines altbekannten literarischen Stoffes, der in jeglicher Hinsicht zu einer etwas weniger dramatischen und mehr kindgerechten Aufführung mit einer nicht vorhersehbaren Wendung und Ereignissen geformt wurde, als ich es erwartet habe.
Sowohl das spartanische Bühnenbild, die gut eingebettete Musik, die einfach gehaltenen Kostüme, als auch die überzeugend ausdrucksstarke Spielweise der Darsteller tragen zu einer nachhaltig gedankenvollen Stimmung bei, die der Zuschauer noch lange, nach dem Verlassen des Theaters, mit sich trägt.



Simona Vintilă hat also ihren Auftrag, Nachhaltigkeit in den kleinen und großen Köpfen der Zuschauer zu erzeugen, mehr als erfüllt. Nachhaltiges Nachdenken über Gut und Böse und darüber, dass Kinder in dieser großen schnellen Wirklichkeit, alleine, ohne den Schutz ihrer Eltern nicht sicher sind, vor allem dann nicht, wenn sie sich nicht an ihre Anweisungen und Belehrungen halten.
Ich empfehle dieses Theaterstück jedem Kind, allen Eltern, Großeltern, jeder Tante und Patenonkel, … einfach jedem, der sich ein wunderschönes, buntes, witziges, lehrreiches, kurzweiliges, nachhaltiges und vor allem sehr gut dargebotenes Märchen ansehen möchte.

Bildquelle: Teatrul "Gong" Sibiu (by Dragos Dumitru)

Mittwoch, 18. April 2018

Wenn Hand aufs Herz nur ein Griff ins Leere ist



Wenn Hand aufs Herz nur ein Griff ins Leere ist
und man beim Einatmen das Ausatmen vergisst.
Wenn man beim Selbstgespräch, die Sprache nicht kennt
und vor dem eigenen Schatten in die Finsternis rennt.
Wenn sich hinter der eigenen Maske kein Gesicht mehr verbirgt,
und die Stille über Nacht an Lärmbelästigung stirbt.
Wenn Gedanken die träumen keinen Spaß mehr verstehn
Und wache Augen nur noch schwarz-weiß Bilder sehn.
Wenn das einzig Echte, die Falschheit ist
und die beste Verschwörung ihre Theorien vermisst.
Wenn der Sinn des Daseins am seidenen Faden hängt,
dann hat einem das Leben reinen Wein eingeschenkt.



Samstag, 27. Januar 2018

Ein Tag im November

- Kurzkrimi

KAB- Artmajeur


„Antonia?“
„Ja!“
„Schatz, kannst du mich hören?“
„Ja, ich höre dich!“
„Hörst du mich? Hallo! Antonia?“
„Ich kann dich ganz gut hören! Wieso flüsterst du?“
„Antonia? Falls du mich hören kannst! Ich liebe dich, hörst du? Ich werde dich immer lieben!“
„Karl?“
„Bitte verzeih mir!“
„Karl? Was ist denn los? Wo bist du? Karl! Hörst du mich? Ich liebe dich doch auch. Karl?“
„Karl? Bist du noch dran? Karl!“

Sie eilte aus dem Friseursalon auf die laute Straße hinaus und zog die Türe hastig hinter sich zu.
„Karl? Karl!“
>>tut tut tut>>
Zitternd senkte sie das Handy von ihrem Ohr und starrte erschrocken auf dem Bildschirm. Kalter Wind wehte ihr ins Gesicht und wirbelte ihr langes, frisch frisiertes Haar durcheinander. Antonia suchte mit ihrem Blick die Straßen ab.  Er sollte doch längst da sein. Ein unwohles Gefühl schnürte sie ein. Sie ahnte nichts Gutes.
Lautes Hupen riss sie aus ihrem flauen Gemütszustand. Sie erschrak und blickte auf. Eins, zwei, drei Feuerwehrautos rasten mit Blaulicht und lauten Sirenen die Straßen hinunter, ein Notarztfahrzeug und ein Krankenwagen hinterher. Von der Südtangente hörte sie die schrillen Polizeisirenen, die ebenfalls Richtung Obermünsterbrücke fuhren. Sie umschloss ihr Handy fest in der Hand. „Karl!“ dachte sie erschrocken.
Antonia schnallte sich hektisch die Aktentasche quer über die Schulter und rannte auf einmal los. Ein ungutes Gefühl sagte ihr, sie müsse den Sirenen folgen. Die Lichter der entgegenkommenden Autos spiegelten sich in den nassen Straßen und blendeten sie. „Scheiße! Mann, pass doch auf!“ brüllte Antonia einem Radfahrer hinterher, der zu nah an ihr vorbeigefahren war. Beim Versuch ihm auszuweichen, landete sie mitten in eine große Pfütze. Knöcheltief im Wasser hielt sie für ein paar Sekunden inne und beobachtete ihre Stiefeletten. Das graue Wildleder war durchnässt. „Die sind dann wohl auch im Arsch!“ schrie sie dem, längst schon zwischen die Autos verschwundenen, Radfahrer hinterher. Im Rausche der Sirenen hob Antonia den Kopf und beobachtete den Stau, der sich schon weit vor der Brücke gebildet hatte. „Was ist nur los da vorne, wieso geht es nicht weiter?“ Hupend beschwerte sich ein Autofahrer durch die geöffnete Fensterscheibe seiner Fahrertür. Passanten waren ebenfalls stehen geblieben und tuschelten untereinander. Antonia mischte sich unter die Menschenansammlung an der Brückenmündung und versuchte sich ebenfalls, wie all die Schaulustigen, einen Überblick zu verschaffen. Doch sie konnte nichts Außergewöhnliches sehen. Zu viele Menschen versperrten ihr die Sicht auf die parkenden Feuerwehrautos. Immer stärker aufkommende Unruhe machte sich in ihr breit. Zitternd führte sie eine Hand zum Mund und presste ihre schlanken Finger fest dagegen. Aus einer tiefen, verzweifelten Unruhe heraus hätte sie laut losheulen können. In der anderen Hand hielt sie immer noch ihr Handy fest umschlossen. Sie öffnete es. Ihr Bildschirm leuchtete hell auf. Ihr Herz pochte schmerzhaft wild. Zögernd wählte sie den Rückruf der letzten Nummer. „Geh ran! Bitte geh ran!“ flehte sie, während ihr der viel zu lang andauernde Klingelton nichts Gutes verheißen mochte.  „Karl, verdammt noch mal! Wo bist du denn nur? Geh jetzt sofort ran!“
<<The person you are calling is not available at the moment. Please try again later<<

Heiße Tränen stiegen ihr langsam in die Augen und trübten ihr die Sicht auf die Brücke. Verschwommen sah sie die Blaulichter der Notfahrzeuge blinken. Die Sirenen schienen langsam zu verstummen. Kalte Schauer durchschossen ihren Körper, der sich wie in Trance zwischen all den Menschen hindurch schlängelte, die sich um die Einsatzwägen versammelt hatten. „Es soll ein Mann gewesen sein, mehr sagen die nicht!“ hörte sie jemanden sagen. „Da ist einer von der Brücke gesprungen“, schrie eine Frau. „Sie untersuchen gerade sein Auto“, sagte eine andere.
Antonia hatte die Absperrung der Polizei erreicht und erkämpfte sich den besten Platz auf das Geschehene. Ihre Augen suchten verzweifelt nach Irgendetwas, sie wusste nicht wonach sie suchte. Plötzlich hielt sie den Atem an. Ihre Hand legte sie sich erneut schützend über ihren Mund, um ein lautes Aufschrien zu verhindern. In der anderen Hand tönte immer noch die Roboterstimme: „The person you are calling…“. Ihr Magen stülpte sich. Sie fing laut an zu weinen. Schwerelos verloren ihre mageren Beine den Halt und knickten ein. Zeitlupenähnlich sank die junge Frau zu Boden und blieb am Bürgersteig der Brücke sitzen. Ihr roter Mantel, der an die Farbe reifer Tomaten erinnerte, saugte das Wasser der Pfütze unter ihr auf. Wie ein, in Blut durchtränkter, Bleikittel zog er sie nach unten. Sie starrte das Auto an. Sie starrte ihr Auto an. Da stand er, ihr alter grüner BMW, mit dem verbeulten rechten Kotflügel, weißer Wandfarbekratzer an der Stoßstange und einer langen, breiten Schramme quer über der Kühlhaube. „Schatz, das ist ein Straßenauto und kein Autoscooter auf der Kirmes!“ Gerne zog Karl Antonia auf, wenn sie hinterm Steuer saß und er sich beidhändig in jeder Kurve am Armaturenbrett abstütze. Da stand es, ihr Straßenauto, mit weit geöffneten Türen mitten auf der rechten Fahrbahn der Brücke. Sie erkannte Karls ersten Babyschuh, aus weißen Leder mit zwei schwarzen Streifen, den sie gemeinsam an ihrem 1. Hochzeitstag an den Innenspiegel angebracht hatten.  Den anderen Schuh trug Karl an seinem Schlüsselbund. „Aus Zeichen der Verbundenheit“, sagte er immer augenzwinkernd.
Mit jedem Atemzug wurde ihr immer klarer, dass ab diesem Tag nichts mehr so sein wird, wie es mal war.
Sie sammelte all ihre Kräfte und hievte sich zitternd in die Höhe. „Karl! Karl!“ schmerzhaft schnürten ihr diese Rufe, ohne jegliche Hoffnung auf eine Antwort, die Kehle ein. „Karl, wo bist du nur?“ Sie lief durch die Polizeisperre zum Auto und durchsuchte es hastig. Auf dem Beifahrersitz lagen Karls Laptop, sein Diensthandy, seine Zigaretten und sein Geldbeutel. Der offene Geldbeutel schien durchwühlt, sein Ausweis lag obendrauf. „Karl, verdammt! Was ist passiert?“
Zwei kräftige Arme umklammerten sie plötzlich und zogen sie mit festen Griffen vom Auto weg: „Bitte, beruhigen sie sich! Bitte beruhigen sie sich!“
„Ich bin ja schon ruhig! Ich bin ruhig, ok?“ schrie Antonia und kämpfte sich frei. Der Polizist, der sie soeben noch festhielt, lies erschrocken locker. Sie entriss sich dem Griff und blickte, mit, von Tränen verschmierter Wimperntusche, einem hoch gewachsenen und gut durchtrainierten Polizisten genau ins Gesicht.
„Ich bin ruhig, verdammte Scheiße! Sehen sie, wie verdammt ruhig ich bin?“ zitternd hielt Antonia ihm ihre offene Hand vor die Augen. „Ich bin tiefenentspannt! Ich könnt gleich platzen, so ruhig bin ich!“. Sie wischte sich mit dem nassen Ärmel quer übers durchnässte Gesicht. Ihren suchend fragenden Blick konnte sie nicht ruhig halten. Der Regen hatte erneut angefangen und leitete mit kleinen, schmerzenden Tropfen die Abenddämmerung ein. Die Stadt glänzte bunt in den grellen Scheinwerferlichtern der vielen Autos auf der Brücke.
Sie atmete hastig und strich sich wild durch die plattgeregnete Dauerwelle, wofür sie doch soeben ein halbes Vermögen gezahlt hatte: „Wo ist mein Mann? Wo zu Teufel ist Karl?“ schrie sie, sich im Kreis drehend und jeden Zentimeter der Stadt mit ihren Blicken verwirrt durchsuchend. „Wo?“ Sie zerrte verzweifelt an den Arm des Polizisten. „Wo, verdammt noch mal, wo ist er?“
„Sie kannten Herrn Rabe?“ fragte der Polizist ruhig und emotionslos, während er sich sanft aus ihren Fängen befreite.
„Was?“ Antonias Stimme stockte. „Was?“ Sie trat ein paar Schritte zurück.
„Ob sie das Opfer, Herrn Karl Rabe, kannten?“ wiederholte der Mann in Uniform.
Antonia spürte lähmende Ohnmacht aufkommen und atmete den schwindelerregenden Zustand ein und aus.
„Das ist sie! Das ist die Frau die ihn gestoßen hat!“ durchdringt plötzlich eine aufgebrachte Männerstimme die Stille ihrer anbahnenden Bewusstlosigkeit.
Antonia erschrak. Sie kam wieder zu sich, heraus aus der Schwerelosigkeit ihres Schreckens. Es herrschte Unruhe.  Die Schaulustigen blickten sich erschrocken um. Antonia drehte sich verwirrt im Kreis. „Ja, die da! Die mi’m roten Mantel. Das habe ich genau gesehen!“ ertönte es erneut. „Sie hat mit dem Mann gestritten, dann hat sie ihn von hinten über die Brüstung von der Brücke gestoßen!“
Noch bevor die vergiftete Luft Antonias Lunge wieder verlassen konnte, spürte sie schon die festen Griffe des Polizisten, von links und von rechts und von überall.
„Bitte machen sie jetzt keinen Ärger und begleiten uns auf die Polizeiwache!“ befahl die emotionslose Stimme und schob Antonia auf den rechten hinteren Platz des Polizeiautos. Die Türen schlossen sich. Der Lärm der Stadt verstummte. Der Regen prasselte wütend auf das Dach des Autos. Die Welt stand still.
Auf der gegenüberliegenden Fahrbahn, auf gleicher Höhe, fuhr ein schwarzer Kleintransporter an. Der Fahrer lächelte zufrieden in sich hinein. 

„Opfer? Ist meinem Mann etwas passiert?“, Antonia starrte den Polizisten neben ihr an. Ihre Unterlippe zitterte. Sie konnte sie nicht unter Kontrolle halten.  Der Polizist durchsuchte Antonias Brieftasche, die er ihr vor dem Einsteigen abgenommen hatte. „Frau Rabe“, er starrte lange auf ihren Ausweis in seiner Hand und vermied bewusst ihren Blickkontakt. „Wussten sie, dass ihr Mann heute gegen 16 Uhr über die Obermünsterbrücke in die Innenstadt fahren wollte?“ Sein Atem roch eindringlich nach Pfefferminz. „Natürlich wusste ich das!“ Antonia wandte ihren Blick zum Fenster und blickte weit hinaus in die Dunkelheit. Der Wagen hatte längst seine Fahrt zur Polizeiwache aufgenommen und bog in die Südtangente ein. „Glauben sie etwa, ich hätte was mit der Sache hier zu tun? Was ist denn eigentlich passiert? Wo ist er überhaupt? Wieso sagt mir hier denn keiner was? Verdammt noch mal!“
Da wurde ihre Aufmerksamkeit plötzlich auf ein grelles Licht, rechts, aus der Kreuzung kommend, gelenkt. Sie sah ein kurzes Aufblitzen. Ein lauter Knall ertönte und das Polizeiauto wurde mit voller Wucht in die Beifahrerseite gerammt. Mit großer Geschwindigkeit schob ein schwarzer Kleintransporter den Wagen, in dem Antonia mit Handschellen gefesselt saß, quer über die Kreuzung, über dem Zugübergang durch die Leitplanke. Das Polizeiauto überschlug sich drei Mal und kam dann in einem kleinen Graben auf dem Dach zum Stillstand. Das rechte Hinterrad drehte sich weiter.
Die ganze Stadt hielt für einen Augenblick den Atem an. Von tief im Inneren des Wracks hörte man ein leises Wimmern.
Durch die zerbrochene Fensterscheibe spähte Antonia auf die Straße, die verkehrt rum zu stehen schien. Sie atmete schwer. Aus ihrem Kinn floss heißes Blut aus einer klaffenden Wunde, das sich eine brennende Spur übers Gesicht, durch die Augen bis in ihre Haarspitzen bahnte. Jeder Atemzug tat weh.
Ein Mann stieg leicht hinkend aus dem Kleintransporter aus und öffnete die Beifahrertür eines daneben parkenden alten Wagens.  Im verschwommenen Glanzlicht der bunten grellen Scheinwerfer konnte Antonia sehen, dass er etwas in der Hand hielt. Einen Schlüsselbund. Daran baumelte ein kleiner weißer Lederschuh, mit zwei schwarzen Streifen. Antonia presste die brennenden Augen zusammen.
Sirenen heulten auf. Der Mann stieg ein. Eine Dame im roten Mantel ließ den Motor an und fuhr aus dem Lichtermeer der Stadt hinaus.


Monika C. Schmid

Ausländerkind