eine Theaterrezension
Premiere: im
Theater für Kinder und Jugendliche „Gong“ in Sibiu am 04. Juni 2018.
Altersempfehlung: ab 5 Jahren.
Darbietung: in
deutscher Sprache mit rumänischem Untertitel.
Regie: Simona
Vintilă; Bühnenbild:
Zsolt Fehérvári; Musik: Alex Halka; Maske: Lucia Preda. Besetzung: Angela Páskuy,
Andrei Hansel, Claudia Stühler, Adrian Prohaska, Jenö Major
Dauer:
40 Min.
Das Theaterstück „Eine
Ziege, ein Wolf und drei sympathische Zicklein“ ist eine moderne Neufassung des Märchens „Die Geiß mit
den drei Geißlein“ des rumänischen Schriftstellers Ion Creanga (1875). Ebenso
ist das Märchen in abgewandelter Form als „Der Wolf und die sieben Geißlein“
aus der Brüder Grimm Sammlung (1812) bekannt.
Das alte Grundsatzmärchen
Dieses
Kindermärchen, in all seinen Abwandlungen, gehört, wie auch "Rotkäppchen", zu den so genannten
Warnmärchen, die die Kinder durch Abschreckung und die Darstellung möglicher
Folgen unter anderem auf Gefahren aufmerksam machen sollen, um diese Gefahren
erkennen und vermeiden zu können. Darüber hinaus sollen die Kinder aus solchen „Grundsatzmärchen“
nützliche Lektionen für ihr ganzes Leben lernen, weil sie eine Metapher für die Existenz und
das sinnvolle Zusammenwirken von Gut und Böse darstellen.
Die zentrale Aussage darin
ist immer dieselbe: „höre auf deine Eltern, damit dir nichts Böses passiert!“
Die moderne Neufassung eines alten
Märchens
Simona
Vintilă hat sich für eine
weniger grausame Darstellung entschieden, die aber aufgrund ihres
zeitgenössischen Bezugs der Moral und der damit verbundenen Lehre im nichts
nachsteht. In einem sehr modernen Setting ergreift die neuerfasste Darstellung des
Märchens sein junges Publikum zielgenau. So schaffen Computerspiele wie Minecraft,
das Einkaufszentrum „Mall“ oder die Benutzung des Handys den Bezug zum 21.
Jahrhundert sehr gut und erzeugen damit einen authentischen Spannungsbogen
zwischen Märchen und Wirklichkeit. Gut eingebettete Witze, Humor, Musik und
Lichtspiele lassen die Ernsthaftigkeit des Themas zwar punktgenau wirken,
mindern jedoch latent die Grausamkeit der Geschichte.
Die drei Zicklein
werden im häuslichem Umfeld von der Geißenmutter geschützt und versorgt.
Jedoch, wie Kinder nun mal so sind, hören sie oft nicht auf die Mutter, spielen
lieber Computerspiele anstatt aufzuräumen, streiten miteinander und bringen den
häuslichen Segen ständig zum Schwanken.
Während die
Geißenmutter beim Einkaufen ist, steht der Wolf, ihr Patenonkel, vor der Tür.
Die Kinder
befolgen die Anweisung der Mutter, niemanden ins Haus zu lassen, nicht, lassen
sich vom Wolf täuschen und gewähren ihm somit Einlass. Sie spüren zwar schnell,
dass dieser Besuch Gefahr mit sich bringt, vertrauen dem Wolf aber auch
gleichzeitig, weil er ja ihr Patenonkel ist. Der Wolf nutzt ihre Naivität und innere
Zerrissenheit aus und frisst – anscheinend, die zwei Ältesten auf. Das jüngste Geißlein kann sich
vor ihm retten und wird von der Mutter gefunden. Doch die Mutter scheint einen
Plan zu haben. Sie lädt den Patenonkel zu sich zum Essen ein und betrauert mit
ihm den Verlust ihrer Kinder. Erst als das jüngste Zicklein den Wolf als
Übeltäter entlarvt, findet die Geschichte eine unerwartete Wendung und liefert
eine starke, nachhaltige Moral.
Das
Märchen stellt Unerfahrenheit/ Kindlichkeit in den Erlebnisrahmen mit „Gut und
Böse“. Ein uraltes Thema das sich durch den Wandel der Zeit nicht im Geringsten
verändert hat.
Simona
Vintilă spannt gekonnt den Bogen von der Ursprungsmoral des Märchens: „Das Böse kommt durch Schlauheit ans Ziel und
nimmt sich das, was schwach ist. Klugheit ist die Stärke des Guten, sich mit
dem Bösen auseinanderzusetzen“ weiter und vermittelt, dass Kinder, in ihrer
unterfahren und hilflosen Position, oft erst durch eine ernüchternde
(Selbst-)Erfahrung zu der Erkenntnis kommen können, dass sie ohne die
schützenden Anweisungen und Anleitungen ihrer Eltern noch nicht alleine
überleben können. Wirklichkeit steht in dem Spannungsbogen zwischen Gut und
Böse.
Inhaltliche Gestaltung
Die
Handlung spielt im Hausinnerem der Geißenfamilie. Zsolt Fehérvári bedient sich
einfachster Mittel für ein aussagestarkes Bühnenbild und gewährt somit eine
uneingeschränkte Konzentration des Publikums auf den Handlungsverlauf, ohne
visuelle Ablenkungen. Bunte Würfel stehen exemplarisch für das Interieur des
Hauses, welche ständig, je nach szenischer Handlung wechselt. Die Darsteller
selber verändern das Bühnenbild im Szenenverlauf durch spielerisches Verschieben
der Würfel und nehmen den Zuschauer somit ohne Unterbrechung nahtlos durch die
Szenenwechsel mit.
Die
Geißenmutter
verkörpert
„das Gute“ in unserer Wirklichkeit und möchte sie vor der Wirklichkeit des
Bösen bewahren. Sie beschützt ihre Kinder, versorgt und behütet sie. Da ihre
Ratschläge jedoch die Erfahrung nicht ersetzen, bedient sie sich in der
Neuverfassung von Simona Vintilă eines lehrreichen Plans um den Kindern eine
Lektion zu erteilen. Angela Páskuy spielt die Rolle der liebenden und fürsorglichen
Mutter sehr authentisch und schafft es, durch die Ausdrucksstärke in ihren
Worten viel Nachdruck und Vertrauen zum Guten zu verleihen.
Die eingesetzte Musik von Alex Halka macht die Aufführung lebendig und
spannend, vor allem, weil die Darsteller alle gut singen können. Mit dem Lied
„Mama ist hier, fürchte dich nicht vorm Bösewicht…. Keine Angst, das schaffen
wir…“ schafft Angela Páskuy eine wundersam hoffnungsvolle Stimmung im Publikum.
Es zeigt sich ein sanftes Regen zwischen den Zuschauern. Väter greifen nach der
Hand ihrer Kinder, tätscheln sie sanft. Mütter wiegen ihre Kleinen auf ihrem Schoß
im Gleichklang der Melodie. Eine Mutter schluckt schwer ihre Tränen hinunter,
ein kleines Mädchen flüstert glücklich: „Ja, Mama ist jetzt hier…“, Angela Páskuy,
die Geißenmutter singt weiter.
Die
drei sympathischen Zicklein,
gespielt
von Andrei Hansel, Claudia Stühler und Adrian Prohaska schaffen es auf
wundersame Weise, die unterschiedlichen Charaktere der Kinder und ihre
Gefühlswelt gut und nachvollziehbar zu transportieren. Während die zwei älteren
Zicklein rebellisch, abenteuerlustig sind und ihre Grenzen austesten wollen, gibt
sich das jüngste als „angepasstes Kind“. Adrian Prohaska spielt Mamas Liebling,
brav, ruhig und verhält sich regelkonform. Die zwei Großen, in den Rollen mit
Andrei Hansel und Claudia Stühler zeigen einen sehr aktiven und
bewegungsaufwändigen Auftritt, gespickt mit sehr viel Mimik und Gestik, die von
beiden gekonnt und sehr authentisch auf dem Punkt genau eingesetzt werden können.
Auffallend ist die harmonische Interaktion zwischen beiden Darstellern, die die
Zuschauer vergessen lässt, dass es nur ein Schauspiel ist.
Der
böse Wolf
verkörpert
zunächst, wie erwartet das „Böse“ und kommt mit einer arglistigen Täuschung an
sein Ziel. In dieser Neuffassung von Simona
Vintilă mindert jedoch das Attribut des „Patenonkels“ die ihm zugeteilte
Boshaftigkeit und vermittelt somit unterschwellig die Hoffnung, das Böse sei
doch nicht so böse, wie befürchtet. Simona
Vintilă lässt den Zuschauer also bis kurz vor dem Ende des Theaterstückes im
Zweifel über den wahren Charakter des Wolfes. Jenö Major spielt einen
hervorragenden Wolf. Gerissen, wahnsinnig, machtvoll, manipulierend und
angsteinflößend. Sein Einzug auf die Bühne, auf einem Hoverboard im Kegellicht
„schwebend“, ist für alle Zuschauer, ob Jung oder Alt, ebenso aufregend wie
unvergesslich. Solang der Wolf auf der Bühne ist, hält das Publikum den Atem an.
Auffallend
ist die deutliche, klare und gut verständliche Aussprache aller Darsteller. An manchen Stellen des Stückes hat man sogar
das Gefühl, dass die Schauspieler selbst mit dem Theaterstück verschmolzen
sind. Z.B. als das mittlere Zicklein, gespielt von Claudia Stühler im Beisein
des Wolfes zittert und wimmert und dessen Hand unfreiwillig küssen muss, oder
als Jenö Major, der Wolf, hungrig über die Bühne streift und den Zicklein Angst
einflößt.
Ein klares
Lob geht auch an die Maskenbildnerin Lucia Preda, die es wunderbar geschafft hat, aus
schönen Menschen glaubwürdige Tiere zu verwandeln. Die Outfits der
Tierdarsteller sind alle samt sehr zeitnah und altersgerecht zusammengestellt.
Die Schminke und der „Kopfschmuck“ dezent und authentisch.
Alles in allem ist das
also eine gelungene, zeitgenössische Interpretation eines altbekannten
literarischen Stoffes, der in jeglicher Hinsicht zu einer etwas weniger
dramatischen und mehr kindgerechten Aufführung mit einer nicht vorhersehbaren
Wendung und Ereignissen geformt wurde, als ich es erwartet habe.
Sowohl das spartanische
Bühnenbild, die gut eingebettete Musik, die einfach gehaltenen Kostüme, als
auch die überzeugend ausdrucksstarke Spielweise der Darsteller tragen zu einer
nachhaltig gedankenvollen Stimmung bei, die der Zuschauer noch lange, nach dem
Verlassen des Theaters, mit sich trägt.
Simona Vintilă hat also ihren Auftrag, Nachhaltigkeit in den kleinen
und großen Köpfen der Zuschauer zu erzeugen, mehr als erfüllt. Nachhaltiges Nachdenken über Gut
und Böse und darüber, dass Kinder in dieser großen schnellen Wirklichkeit,
alleine, ohne den Schutz ihrer Eltern nicht sicher sind, vor allem dann nicht,
wenn sie sich nicht an ihre Anweisungen und Belehrungen halten.
Ich empfehle
dieses Theaterstück jedem Kind, allen Eltern, Großeltern, jeder Tante und
Patenonkel, … einfach jedem, der sich ein wunderschönes, buntes, witziges,
lehrreiches, kurzweiliges, nachhaltiges und vor allem sehr gut dargebotenes
Märchen ansehen möchte.
Text: Monika C. Schmid
Bildquelle: Teatrul "Gong" Sibiu (by Dragos Dumitru)
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