Mittwoch, 13. Juni 2018

Eine Ziege, ein Wolf und drei sympathische Zicklein

eine Theaterrezension



Regisseurin Simona Vintilă lässt in Sibiu ein altes, wohlbekanntes Märchen im neuem, modernem Charme auferstehen.


Premiere: im Theater für Kinder und Jugendliche „Gong“ in Sibiu am 04. Juni 2018.
Altersempfehlung:  ab 5 Jahren.
Darbietung: in deutscher Sprache mit rumänischem Untertitel.
Regie: Simona Vintilă; Bühnenbild: Zsolt Fehérvári; Musik: Alex Halka; Maske: Lucia Preda. Besetzung: Angela Páskuy, Andrei Hansel, Claudia Stühler, Adrian Prohaska, Jenö Major
Dauer: 40 Min.

Das Theaterstück „Eine Ziege, ein Wolf und drei sympathische Zicklein“ ist eine moderne Neufassung des Märchens „Die Geiß mit den drei Geißlein“ des rumänischen Schriftstellers Ion Creanga (1875). Ebenso ist das Märchen in abgewandelter Form als „Der Wolf und die sieben Geißlein“ aus der Brüder Grimm Sammlung (1812) bekannt.

Das alte Grundsatzmärchen
Dieses Kindermärchen, in all seinen Abwandlungen, gehört, wie auch "Rotkäppchen", zu den so genannten Warnmärchen, die die Kinder durch Abschreckung und die Darstellung möglicher Folgen unter anderem auf Gefahren aufmerksam machen sollen, um diese Gefahren erkennen und vermeiden zu können. Darüber hinaus sollen die Kinder aus solchen „Grundsatzmärchen“ nützliche Lektionen für ihr ganzes Leben lernen, weil sie eine Metapher für die Existenz und das sinnvolle Zusammenwirken von Gut und Böse darstellen.

Die zentrale Aussage darin ist immer dieselbe: „höre auf deine Eltern, damit dir nichts Böses passiert!“

Die moderne Neufassung eines alten Märchens
Simona Vintilă hat sich für eine weniger grausame Darstellung entschieden, die aber aufgrund ihres zeitgenössischen Bezugs der Moral und der damit verbundenen Lehre im nichts nachsteht. In einem sehr modernen Setting ergreift die neuerfasste Darstellung des Märchens sein junges Publikum zielgenau. So schaffen Computerspiele wie Minecraft, das Einkaufszentrum „Mall“ oder die Benutzung des Handys den Bezug zum 21. Jahrhundert sehr gut und erzeugen damit einen authentischen Spannungsbogen zwischen Märchen und Wirklichkeit. Gut eingebettete Witze, Humor, Musik und Lichtspiele lassen die Ernsthaftigkeit des Themas zwar punktgenau wirken, mindern jedoch latent die Grausamkeit der Geschichte.


Die drei Zicklein werden im häuslichem Umfeld von der Geißenmutter geschützt und versorgt. Jedoch, wie Kinder nun mal so sind, hören sie oft nicht auf die Mutter, spielen lieber Computerspiele anstatt aufzuräumen, streiten miteinander und bringen den häuslichen Segen ständig zum Schwanken.
Während die Geißenmutter beim Einkaufen ist, steht der Wolf, ihr Patenonkel, vor der Tür.
Die Kinder befolgen die Anweisung der Mutter, niemanden ins Haus zu lassen, nicht, lassen sich vom Wolf täuschen und gewähren ihm somit Einlass. Sie spüren zwar schnell, dass dieser Besuch Gefahr mit sich bringt, vertrauen dem Wolf aber auch gleichzeitig, weil er ja ihr Patenonkel ist.  Der Wolf nutzt ihre Naivität und innere Zerrissenheit aus und frisst – anscheinend, die zwei Ältesten auf. Das jüngste Geißlein kann sich vor ihm retten und wird von der Mutter gefunden. Doch die Mutter scheint einen Plan zu haben. Sie lädt den Patenonkel zu sich zum Essen ein und betrauert mit ihm den Verlust ihrer Kinder. Erst als das jüngste Zicklein den Wolf als Übeltäter entlarvt, findet die Geschichte eine unerwartete Wendung und liefert eine starke, nachhaltige Moral.
                                                                                                                 
Das Märchen stellt Unerfahrenheit/ Kindlichkeit in den Erlebnisrahmen mit „Gut und Böse“. Ein uraltes Thema das sich durch den Wandel der Zeit nicht im Geringsten verändert hat.

Simona Vintilă spannt gekonnt den Bogen von der Ursprungsmoral des Märchens: „Das Böse kommt durch Schlauheit ans Ziel und nimmt sich das, was schwach ist. Klugheit ist die Stärke des Guten, sich mit dem Bösen auseinanderzusetzen“ weiter und vermittelt, dass Kinder, in ihrer unterfahren und hilflosen Position, oft erst durch eine ernüchternde (Selbst-)Erfahrung zu der Erkenntnis kommen können, dass sie ohne die schützenden Anweisungen und Anleitungen ihrer Eltern noch nicht alleine überleben können. Wirklichkeit steht in dem Spannungsbogen zwischen Gut und Böse.

Inhaltliche Gestaltung
Die Handlung spielt im Hausinnerem der Geißenfamilie. Zsolt Fehérvári bedient sich einfachster Mittel für ein aussagestarkes Bühnenbild und gewährt somit eine uneingeschränkte Konzentration des Publikums auf den Handlungsverlauf, ohne visuelle Ablenkungen. Bunte Würfel stehen exemplarisch für das Interieur des Hauses, welche ständig, je nach szenischer Handlung wechselt. Die Darsteller selber verändern das Bühnenbild im Szenenverlauf durch spielerisches Verschieben der Würfel und nehmen den Zuschauer somit ohne Unterbrechung nahtlos durch die Szenenwechsel mit.



Die Geißenmutter
verkörpert „das Gute“ in unserer Wirklichkeit und möchte sie vor der Wirklichkeit des Bösen bewahren. Sie beschützt ihre Kinder, versorgt und behütet sie. Da ihre Ratschläge jedoch die Erfahrung nicht ersetzen, bedient sie sich in der Neuverfassung von Simona Vintilă eines lehrreichen Plans um den Kindern eine Lektion zu erteilen. Angela Páskuy spielt die Rolle der liebenden und fürsorglichen Mutter sehr authentisch und schafft es, durch die Ausdrucksstärke in ihren Worten viel Nachdruck und Vertrauen zum Guten zu verleihen.
Die eingesetzte Musik von Alex Halka macht die Aufführung lebendig und spannend, vor allem, weil die Darsteller alle gut singen können. Mit dem Lied „Mama ist hier, fürchte dich nicht vorm Bösewicht…. Keine Angst, das schaffen wir…“ schafft Angela Páskuy eine wundersam hoffnungsvolle Stimmung im Publikum. Es zeigt sich ein sanftes Regen zwischen den Zuschauern. Väter greifen nach der Hand ihrer Kinder, tätscheln sie sanft. Mütter wiegen ihre Kleinen auf ihrem Schoß im Gleichklang der Melodie. Eine Mutter schluckt schwer ihre Tränen hinunter, ein kleines Mädchen flüstert glücklich: „Ja, Mama ist jetzt hier…“, Angela Páskuy, die Geißenmutter singt weiter.



Die drei sympathischen Zicklein,
gespielt von Andrei Hansel, Claudia Stühler und Adrian Prohaska schaffen es auf wundersame Weise, die unterschiedlichen Charaktere der Kinder und ihre Gefühlswelt gut und nachvollziehbar zu transportieren. Während die zwei älteren Zicklein rebellisch, abenteuerlustig sind und ihre Grenzen austesten wollen, gibt sich das jüngste als „angepasstes Kind“. Adrian Prohaska spielt Mamas Liebling, brav, ruhig und verhält sich regelkonform. Die zwei Großen, in den Rollen mit Andrei Hansel und Claudia Stühler zeigen einen sehr aktiven und bewegungsaufwändigen Auftritt, gespickt mit sehr viel Mimik und Gestik, die von beiden gekonnt und sehr authentisch auf dem Punkt genau eingesetzt werden können. Auffallend ist die harmonische Interaktion zwischen beiden Darstellern, die die Zuschauer vergessen lässt, dass es nur ein Schauspiel ist.




Der böse Wolf
verkörpert zunächst, wie erwartet das „Böse“ und kommt mit einer arglistigen Täuschung an sein Ziel.  In dieser Neuffassung von Simona Vintilă mindert jedoch das Attribut des „Patenonkels“ die ihm zugeteilte Boshaftigkeit und vermittelt somit unterschwellig die Hoffnung, das Böse sei doch nicht so böse, wie befürchtet.  Simona Vintilă lässt den Zuschauer also bis kurz vor dem Ende des Theaterstückes im Zweifel über den wahren Charakter des Wolfes. Jenö Major spielt einen hervorragenden Wolf. Gerissen, wahnsinnig, machtvoll, manipulierend und angsteinflößend. Sein Einzug auf die Bühne, auf einem Hoverboard im Kegellicht „schwebend“, ist für alle Zuschauer, ob Jung oder Alt, ebenso aufregend wie unvergesslich. Solang der Wolf auf der Bühne ist, hält das Publikum den Atem an.



Auffallend ist die deutliche, klare und gut verständliche Aussprache aller Darsteller. An manchen Stellen des Stückes hat man sogar das Gefühl, dass die Schauspieler selbst mit dem Theaterstück verschmolzen sind. Z.B. als das mittlere Zicklein, gespielt von Claudia Stühler im Beisein des Wolfes zittert und wimmert und dessen Hand unfreiwillig küssen muss, oder als Jenö Major, der Wolf, hungrig über die Bühne streift und den Zicklein Angst einflößt.


Ein klares Lob geht auch an die Maskenbildnerin Lucia Preda, die es wunderbar geschafft hat, aus schönen Menschen glaubwürdige Tiere zu verwandeln. Die Outfits der Tierdarsteller sind alle samt sehr zeitnah und altersgerecht zusammengestellt. Die Schminke und der „Kopfschmuck“ dezent und authentisch.

Alles in allem ist das also eine gelungene, zeitgenössische Interpretation eines altbekannten literarischen Stoffes, der in jeglicher Hinsicht zu einer etwas weniger dramatischen und mehr kindgerechten Aufführung mit einer nicht vorhersehbaren Wendung und Ereignissen geformt wurde, als ich es erwartet habe.
Sowohl das spartanische Bühnenbild, die gut eingebettete Musik, die einfach gehaltenen Kostüme, als auch die überzeugend ausdrucksstarke Spielweise der Darsteller tragen zu einer nachhaltig gedankenvollen Stimmung bei, die der Zuschauer noch lange, nach dem Verlassen des Theaters, mit sich trägt.



Simona Vintilă hat also ihren Auftrag, Nachhaltigkeit in den kleinen und großen Köpfen der Zuschauer zu erzeugen, mehr als erfüllt. Nachhaltiges Nachdenken über Gut und Böse und darüber, dass Kinder in dieser großen schnellen Wirklichkeit, alleine, ohne den Schutz ihrer Eltern nicht sicher sind, vor allem dann nicht, wenn sie sich nicht an ihre Anweisungen und Belehrungen halten.
Ich empfehle dieses Theaterstück jedem Kind, allen Eltern, Großeltern, jeder Tante und Patenonkel, … einfach jedem, der sich ein wunderschönes, buntes, witziges, lehrreiches, kurzweiliges, nachhaltiges und vor allem sehr gut dargebotenes Märchen ansehen möchte.

Bildquelle: Teatrul "Gong" Sibiu (by Dragos Dumitru)

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