Dienstag, 24. März 2020

Mein verrücktes Leben und ich


und wieso ich nicht zum Trübsal blasen gemacht bin. 


Als ich 3 Jahre alt war…
kam ich in Quarantäne!
Vierzehn Tage lang, denn ich hatte Gelbsucht.
Alleine! Ohne meine Eltern oder einen Menschen, der mir nahe war.

Rumänien, Spätwinter, Kommunismus. Kinderkrankenhaus für isolierpflichtige Erkrankungen mit hohem Ansteckungsrisiko. Desolate Zustände: ein Zimmer, 5 Betten, 9 Kinder, ein Klo für die ganze Station, überfordertes Pflegepersonal.

Ich wiederhole, ich war 3 Jahre alt. Morgens gab es Toastbrot mit Tee, mittags Kartoffelpüree mit Klumpen, warm. Abends, Kartoffelpüree mit Klumpen, kalt.

Ich wurde ein Mal in dieser Zeit gebadet, von Dana, einem 10-jährigen Mädchen, mit der ich mir das Bett teilte. Dana hatte lange schwarze Haare und ein Muttermal am Kinn. Dana vergaß mich dann die ganze Nacht in der Badewanne. Ich saß bis zum Morgengrauen im eiskalten Wasser. 
Meinen Eltern war Betreten des Krankenhauses verboten!  An den Toren hingen schwere Schlösser.

Meine Eltern bestachen die Ärzte und Krankenschwestern mit Kaffee, Schokolade, Orangen und Bananen aus Deutschland. Ab diesen Moment hörte das Krankenhauspersonal auf, mich zu schlagen.


Als ich 5 Jahre alt war…
fiel ich aus einem fahrenden Auto auf die Bundesstraße.

Wir waren alle baden und fuhren wieder heim. Meine Großeltern, ein grünes Auto und 8 nasse Kinder auf der Rücksitzbank. Ohne Anschnallgurt, ohne Klamotten, in Badehosen, auf einer Decke.

Im Radio lief rumänische Volksmusik und die Stimmung war heiter. Wir legten uns in die Kurven wie echte Bobfahrer. Linkskurve. Rechtskurve. Linkskurve. Woom! Die Autotüre ging auf, ich fiel aus dem Auto hinaus, die Autotür ging wieder zu, das grüne Auto verschwand am Horizont. 

Ich knallte auf den Beton und blieb dort liegen!

Quietschende Reifen. Ein LKW kommt. Der LKW -Fahrer trägt eine Mütze. Wieso, es ist doch Sommer. Der LKW dreht sich um 180 Grad. Wieso stinkt es hier so verbrannt? Schmerzen! Jetzt steht der LKW schräg neben mir. Schmerzen! Wieso weine ich nicht! Schwarz. Alles Schwarz.

Dann, wieder hell, irgendwann. Ich höre mich atmen. Ich fühle die Schmerzen. 
Ich lächle. Ich freue mich. Omi hat mal erzählt, erst wenn man tot ist, hat man keine Schmerzen mehr. Doch mir tut alles weh.



Als ich 7 Jahre alt war…
hatte ich eine ziemlich lange Verhandlung mit Gott. 

„Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand, den Rest erledigt der liebe Gott!“, sagte der verschwitzte Arzt im Unterhemd zu meinen Eltern, als er den OP verließ. 
Ich lag da drin, im OP- Saal. 
Ich und der liebe Gott und wir verhandelten um mein Leben. 

Ich kam mit einem Blinddarmdurchbruch samstagnachts in die Notaufnahme.
Kein Arzt war da! Kein Anästhesist. Nur ein paar Schwestern. Der Arzt sei beim Fischen, die OP wird auf Montag verschoben.  
Stunden später katastrophale Blutwerte, Telefonate, eilige Schritte, verwirrte Blicke, schnelles Atmen, Panik unter den Schwestern.

 „Das Kind muss operiert werden, sonst überlebt sie die Nacht nicht," erklärte jemand meinen Eltern.
Blutvergiftung. Der Doktor muss seinen Angelausflug unterbrechen. Er kommt. Aber es ist immer noch kein Anästhesist da, er ist im anderen OP. Egal, Notlösung? Ja, Notlösung.

Ich werde an die Hand genommen und in den OP gebracht. Der Steinboden unter meinen nackten Füßen ist eiskalt. Ich zittere. Da liegt jemand auf einem Tisch. Wieso liegt da jemand auf einem Tisch? Oh, es ist ein Junge. Da ist ein Arzt mit einer Maske. Es ist sehr laut. Er hat eine Säge. Was macht er da? Eine Schwester nimmt mich auf dem Arm und führt mich dahin. Ich kann es sehen. Dem Jungen werden gerade beide Beine abgesägt. Schwarz! Schwindel! Alles wird dunkel und dumpf um mich herum. Zumindest brauchte ich keinen Anästhesisten mehr.

Danach folgten 2 Wochen Intensivstation in desolaten Zuständen eines rumänischen Kinderkrankenhaus zu Zeiten des Kommunismus. Meinen Eltern war das Betreten der Intensivstation strengstens verboten. Sie fanden andere Wege, sie waren schlau. 

Meine Eltern bestachen die Ärzte und Krankenschwestern mit Kaffee, Schokolade, Orangen und Bananen aus Deutschland. Ab diesen Moment fing das Krankenhauspersonal damit an, mich wie einem Menschen zu behandeln.




Als ich 10 Jahre alt war…
flogen Hubschrauber über unserem Haus und beschossen die Welt unter ihnen.
Die Welt, auf der ich lebte!

1989, Dezember. 10 Tage lang durfte wir das Haus nicht verlassen, aus Angst erschossen zu werden.

„Geh weg vom Fenster!“, mein neuer Name in diesen Tagen, dabei wollte ich doch nur die Hubschrauber sehen und die bunten Funken, um sie herum.

Eine Kette von Demonstrationen, Unruhen und blutigen Kämpfen fanden in ganz Rumänien statt, insbesondere in meiner Heimatstadt, Sibiu. Soldaten mussten auf ihresgleichen schießen. Bruder, Mutter, Freund, Nachbar. Panzer überrollten jeden, wer sich ihnen in den Weg stellte. 
Die Revolution des Volkes führte zum Sturz und zur Hinrichtung unseres Diktators N. Ceausescu  und zum lang ersehnten Ende des realsozialistischen Systems in Rumänien.






Als ich 34 Jahre alt war…
hatte ich 7 Wochen absoluter Bettarrest. 

In der 25. Schwangerschaftswoche ging ich, für eine Untersuchung, ins Krankenhaus und kam 7 Wochen lang nicht mehr da raus. 

Ich durfte nicht gehen, nicht stehen, nicht sitzen – nur liegen.  Ich betone: nur LIEGEN.
Liegen bei allen menschlichen Bedürfnissen und Aufgaben, die man als noch lebender Mensch so hat. Ich betone, ich lag flach, ganze 7 Wochen, 50 Tage, 1.200 Stunden. 


heute werde ich 41 Jahre alt, ...
und ich habe seit genau 10 Tagen das Haus nicht mehr verlassen.

Ein unsichtbarer Feind hat sich wie ein Lauffeuer über unseren Planeten erstreckt und wir erleben gerade einen historischen, angstmachenden Moment, in dem die Zukunft ihre Richtung ändert.
Und schon wieder bin ich dabei, mit blankem Nichtstun -Zuhausebleiben- die Zeit weitmöglich auszusitzen.



Niemand hat gesagt, dass das Leben einfach sein wird.
Manchmal ist es ein richtiges Miststück, aber meistens ist es doch so wunderschön.

Und jetzt sitze ich da, an meinem Geburtstag, und blicke auf meine MoniVita zurück. Ein Stolperstein nach dem anderen, liegen auf meinem Lebenspfad zerstreut. Dazwischen aber auch viele bunte Blumen, harmonische Klänge, farbenfrohe Winde, strahlender Sonnenschein und wunderbare Wegbegleiter.

Stolpersteine haben wir alle im Leben. Große, kleine, eckige, runde.... doch liegt nicht der größte Sieg im Leben darin, wieder aufzustehen, anstatt liegen zu bleiben?

Jetzt erst recht! Steht auf!

Blickt zurück auf eurem langen Pfad durchs Leben, sucht nach den Stolpersteinen, die ihr bereits überwunden habt. Reiht alle zusammen, Stein für Stein, und baut euch daraus eine Brücke, eine Mauer, eine Festung, ja einen zweiten Boden.
Baut euch das Nötige, um die derzeitige Krise unseres Planten gesund überstehen zu können. Nutzt eure Blumen, eure Klänge, den Sonnenschein und eure liebevollen Beziehungen und alles, was eurer Leben sonst noch lebenswert macht und rüstet euch mit all diesen Ressourcen, für die Krise, die wir gegenwärtig zu bewältigen haben.

Wir können mehr, als wir denken!



Ein Vogel hat niemals Angst davor, dass der Ast unter ihm brechen könnte.
Nicht weil er dem Ast vertraut, sondern seinen eigenen Flügeln. (unbekannt)



Bleibt gesund! - Bleibt stark! - Bleibt Zuhause!

Eure Monika 


M.C.Schmid 



Ausländerkind