oder:
Der Tag, an dem ich anfing, mein Handy wegzulegen
„Noch
einen Espresso bitte!“ Seine sanfte
Stimme erinnert mich an jemanden aus der Vergangenheit. Sie erweckt augenblicklich ein schönes, vertrautes Gefühl in mir. Ich unterbreche das
Tippen auf meinem Handy und blicke hoch.
Am
Tisch vor mir sitzt ein älterer Herr, so um die sechzig, der mit der Kante seiner
Handfläche die Tischdecke glatt streift. Ein Mal, zwei Mal und ein drittes Mal.
Ganz langsam und konzentriert. Er beobachtet die Tischdecke und streicht ein
viertes Mal zufrieden über die glatte Oberfläche. Er verschränkt seine Arme vor
die Brust und lehnt sich langsam in seinem Stuhl zurück. Die langen Beine
streckt er überkreuzt vor sich aus. Er trinkt jetzt von seinem Espresso und
blickt nach lange danach in seine Tasse hinein, bevor er sie absetzt.
In meiner
Hand vibriert eine eingehende WhatsApp Nachricht gleich 5 Mal hintereinander.
Fotos, meine Freundin schickt Fotos von ihrer Kreuzfahrt. Ich scrolle mich hastig
durch die Fotos hindurch und kommentiere sie mit einer Aneinanderreihung von
lachenden Emoticons und jenen mit Herzaugen. Darauffolgend ca. 12 Daumenhoch
und zwei Schiffemoticons. Nach dem ich eine gefühlte Ewigkeit nach diesem
Schiff gesucht habe, sende ich es ihr auch gleich zwei Mal.
„Danke
sehr, das ging aber schnell!“ Erneut trifft mich diese ruhige Stimme mit einer
unwahrscheinlichen Attraktivität darin, so sehr, dass sie mich vollends aus
meiner digitalen Welt reißt. Ich blicke verstohlen zu dem Mann hinüber, der
meine Aufmerksamkeit vereinnahmt. Unsere Blicke streifen sich und halten sich kurz
fest. Er lächelt mich unverfänglich an.
Ich lächle automatisch zurück und lenke
mich schnell wieder mit den neuesten Stories meiner Freunde auf Instagram ab. Lydia
zeigt ihr neues Outfit in sieben unterschiedlichen Posen, Jon hat sich soeben beim
Italiener eine gigantische Rucolapizza bestellt, die nicht auf seinem Teller
passt und Ella und Mia winken vom höchsten Berg im Bayerischen Wald fröhlich in
die Kamera.
Ich
merke plötzlich mehr und mehr, wie sehr mich der Mann am Tisch vor mir ablenkt.
Ich spüre seine Blicke, die mich zwar berühren, aber nicht stören. Was ist das?
Wieso ist das so? Ich trau mich nicht mehr, zu ihm rüber zu schauen.
Stattdessen blicke ich einfach mal nach links, am Doppeltisch neben mir. Hier
sitzen fünf Mittdreißigerinnen, die sich sehr amüsiert über die Hochzeit von Paul
und Michaela unterhalten und sich gegenseitig unterschiedlichste Videos von
diesem Fest zusenden. Alle vier gucken, laut gackernd in ihre Handys, was sehr
merkwürdig auf mich wirkt. Mit gesenkten Blicken auf ihren Smartphones lachen und
quatschen sie angeregt in die Runde.
Wie
ferngesteuert gucke ich erneut zum älteren Mann hinüber. Nur kurz gucken, ob er
auch guckt, denke ich mir heimlich. Er
beobachtet aber gerade ebenfalls die vier Freundinnen. Ich nutze die Situation
aus und starre ihn an. Ich kann nicht anderes. Er trägt ein dunkel grünes
Polohemd und eine Bluejeans. Seine Haare sind gelockt und fallen sehr elegant
in den Nacken. Auf dem Tisch liegen eine Sonnenbrille und ein Autoschlüssel. Er
ist weder hübsch noch ist er unansehnlich und dennoch zieht er mich irgendwie
magnetisch an.
„Passt
alles bei Ihnen?“
„Ja,
danke, alles gut!“ antworte ich der Bedienung hastig und vertiefe mich erneut
in mein Handy. Auf Pinterest gibt es 50 neue Pins zum Thema „Backen ohne
Zucker“ und…. Oh wie toll, Amazon hat meine, soeben bestelle Handyschutzhülle
mit Indian-Sun-Design, bereits abgeschickt. Im Emaileingang liegen schon wieder
4 ungelesene Nachrichten und oh nein, meine ersten Rosen im Garten, die ich vor
einigen Minuten auf Facebook gepostet habe, haben erst 2 Likes bekommen. Von
einer alten Kindergartenfreundin, die alles liked und meiner Mama. Die,
zugegebenen Maßen, auch alles von mir liked.
An
einem der Tische spielt ein Kind mit seinem Dinosaurier um den dampfend heißen Kaffeebecher
der Mutter herum. Er lässt den Dino fest am Tisch hüpfen und macht komische
Bellgeräusche dazu. Ich glaube er sagt mit einer unwahrscheinlich hohen
Frequenz immer: „Mama, Mama, Mama, Maaama, Maaaaaaaaama!“ Er nervt. Ich halte
mein Handylautsprecher ganz nah an mein Ohr, um die Sprachnachricht auf WhatsApp
von meiner Schwester besser verstehen zu können. Oh, der Lidl hat Dattelsirup
im Angebot. Muss ich gleich mal zwei Flaschen online bestellen. Der Dinojunge
bellt und der Tisch wackelt schon. Wieso sagt denn seine Mutter nicht endlich
etwas? Ein einfaches „Ja!“ würde ja schon reichen. Er kreist immer wilder mit
seinem orangen Vieh um den Kaffeebecker der Mutter. Diese lässt sich nicht
ablenken und tippt weiterhin fleißig in ihr überdimensional großes Handy. Sie
lächelt und scheint in einer komplett anderen Welt zu Hause zu sein. Klein Dinobübchen
bellt weiterhin „Mamaaa“, hoppelt mit dem Tier ganz wild am Tisch herum, der
Kaffeebecker kommt zu wackeln und kippt der Mutter, über das Handy, in den
Schoß. Sie springt schreiend auf. Dinobello weint. Die Bedienung eilt mit
Tüchern herbei. Irgendwie freut mich das jetzt. Es ist endlich Ruhe.
In
mein Handy kommt ein neuer Facebook Post von Matthias Schweighöfer hereingeeilt.
Ich tippe auf Play und gucke mir seine Shortstory an. „Liebe Grüße vom Meer.
Der Wind weht mir die Frisi durcheinander!“ Ich lächle. Wie toll der doch ist. Ich
like.
Wie
von fremder Hand bewegt, erhebe ich meinen Blick zu diesem älteren Herrn. Oje,
er guckt mich auch gerade an. Unsere Blicke kreuzen sich. Sie kreuzen sich
nicht nur, sie verschlingen sich ineinander, miteinander, untereinander und
dann wieder auseinander. Ich lächle so richtig dämlich weiterhin vor mich hin.
„Was
ist denn so interessant in Ihrem Handy, wenn ich mir die Frage erlauben darf?“
Hat er soeben mit mir geredet? Hat diese wunderbare ruhige und fesselnde Stimme
soeben mich etwas gefragt? „Ähm, so Zeug halt!“, höre ich mich gerade sagen,
während ich eine total sinnlose und unkoordinierte Handbewegung durch die Luft
mache. Zeug? Was sag ich da? Ich habe noch nie Zeug zu etwas gesagt. Warum
gerade heute? Hoffentlich hat er es nicht gehört.
„Zeug?“
fragt er lächelnd. „Sie beschäftigen sich seit über vierzig Minuten mit Zeug im
Handy?“ Er setzt sich interessiert aufrecht und hebt erwartungsvoll die Augenbrauen.
Sein Blick mustert mich. Jetzt fällt mir auf, wie sympathisch er wirkt. Ich
weiß nicht, was ich ihm antworten soll. Ja, womit habe ich mich denn die
letzten wohl vierzig Minuten tatsächlich beschäftigt? Ok, ich habe einen Cappuccino und
ein Wasser getrunken und eine Kugel Joghurt Eis gegessen, ohne Sahne und ohne
Waffel. Und, was noch? Ich habe gescrollt. Jawohl, gescrollt. Ich habe die
letzten fucking vierzig Minuten sinnlos durch mein Handy rauf – und runter gescrollt.
Ich kann mich aber an nichts mehr erinnern. Ich habe gerade einen mega Lapsus. Oh Gott, wo
ist mein Hirn?
Ich
setze mich aufrecht und stütze meine Ellenbogen, in Erwartung auf meine eigene
Antwort, auf die Tischplatte ab. Irgendetwas sagt mir gerade, dass ich gefangen
bin. Gefangen im eigenen Netz der ausweglosen Irrfahrt durch eine selbst
verursachte digitale Abhängigkeit. Und dieser tolle Mann spiegelt mir gerade mein
Labyrinth. Wer hat ihn geschickt? Gott?
„Darf
ich?“ er deutet auf den freien Platz neben mir und erhebt sich von seinem
Stuhl. „Ähm, ja klar, bitte!“ Ich rutsche ein bisschen beiseite. So, ca. zwei Zentimeter.
„Am
liebsten,“ sagt er „sitze ich einfach nur da und genieße meine Umgebung.“ Ich gucke
ihn an und nicke flüsternd: „schön!“. „Ich rieche den Duft der Lindenbäume, die
gerade blühen, ich trinke von meinem Kaffee und schmecke ihn und ich höre dem Wasser
im Springbrunnen da hinten zu!“
Ich
drehe mich schnell um. Ein Brunnen? Wo? Tatsächlich, da! Gleich rechts hinter
mir, da steht ein Springbrunnen. Ein kleiner nackter Steinjunge pinkelt in einem See.
Wer hat sich denn sowas ausgedacht? Kunst? Na gut, Kunst. Ok, tatsächlich ein
Brunnen. Stand er die letzten 40 Minuten auch schon da? Ja? Nein? doch?
Komisch,
jetzt höre ich ihn auch.
„Wann
haben sie eigentlich das letzte Mal so etwas getan?“, fragte er lächelnd. „Einen Springbrunnen hören?“ frage ich total dämlich. „Nein“ sagt er
augenzwinkernd, „einem Springbrunnen zuzuhören!“
Beschämt
senke ich den Blick. „Ich weiß es nicht mehr, … ich kann es wirklich nicht
sagen!“
„Dann
legen sie doch mal ihr Handy weg, wenn sie nicht auf Arbeit sind!“ sagt er und
steht auf. „Vielleicht entdecken sie den ein oder anderen alten Zauber wieder!“
Verblüfft sehe ich ihn an und beobachte, wie er sich gemütlich vom Stuhl neben mir erhebt und ihn zur
Seite schiebt.
„Ich
wünsche ihnen noch einen wunderschönen Tag. Ihr Lächeln ist so großartig,
zeigen sie es doch lieber der Welt da draußen und nicht nur ihrem
Handydisplay!“ Ich bin verwirrt und suche nach einer passenden Antwort. Ich finde keine. Ich nicke nur verlegen und forme ein tonloses "Dankeschön!" mit meinen Lippen.
Mit
einer respektvollen Abschiedsgeste geht er zu seinem Tisch, legt einen 20 Euroschein neben
seine Espresso Tasse, winkt der Bedienung freundlich zu und schlendert langsam
über die Terrasse des Cafés in den Park hinaus. Er zupft im Vorbeigehen eine tief hängende Lindenblüte und riecht daran. Ich blicke ihm noch lange nach.
Zwei eingehende Nachrichten vibrieren im Sekundentakt in meiner Hand. Ich lege das Handy weg und verschränke meine Arme vor die Brust, lehne mich langsam in meinem Stuhl zurück und strecke meine Beine überkreuzt vor mich hin.
Gedankenvoll höre ich dem Springbrunnen noch eine ganze Weile lächelnd zu.
Zwei eingehende Nachrichten vibrieren im Sekundentakt in meiner Hand. Ich lege das Handy weg und verschränke meine Arme vor die Brust, lehne mich langsam in meinem Stuhl zurück und strecke meine Beine überkreuzt vor mich hin.
Gedankenvoll höre ich dem Springbrunnen noch eine ganze Weile lächelnd zu.
Text und Bild @ Monika C. Schmid