Sonntag, 24. Dezember 2017

De craciun TIMP in loc de LUCRURI


Să te minunezi de zăpada argintie strălucitoare, să pui mâncare în căsuța de păsărele, să faci urme în zăpadă, să admiri lumina portocalie tremurândă a lumânărilor, să deschizi ușițele din calendar, în spatele cărora stă ascunsă o poză, să bei ceai fierbinte și să porți conversații lungi, să coci biscuiți, să mergi la plimbare, să citești o carte, să mănânci mere coapte, să scrii felicitări de Crăciun...
...să petreci un timp liniștit cu familia și prietenii, să admiri luminițele colorate, să simți și să oferi recunoștință. Să meditezi. Să râzi. Să te odihnești. Să trăiești.
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Va doresc tututot TIMP pentru momentele frumoase din viață, pentru:
Întâlniri!
Nu neapărat multe, dar în schimb profunde.
Răspunsuri!
Nu neapărat la toate întrebările, ci la cele care trebuie.
Companie!
Nu neapărat mereu, dar totuși la momentul potrivit.
Bogăție!
Nu neapărat să deții multe, ci să te bucuri enorm de ceea ce ai.
Timp!
Nu neapărat ca să poți planifica totul, ci să știi când a sosit momentul potrivit.
Perfecțiune!
Nu neapărat în esență, ci pentru a te putea minuna de desăvârșirea unui zâmbet.
Forță!
Nu neapărat întotdeauna, dar atât cât să-ți găsești mereu sprijinul într-o jumătate puternică.
Căi!
Nu neapărat să le cunoști pe toate, dar, în schimb, să mergi instinctiv pe cele bune!
Țeluri!
Nu neapărat să reușeși totul, dar, în schimb, să poți călători în gând incredibil de departe.
Liniște!
Nu neapărat pentru a nu mai auzi nimic, ci pentru a putea reflecta uneori la alte lucruri.
Bucurie!
Nu neapărat pentru orice moment, dar, în schimb, cât se poate de sinceră.
Iubire!
Nu neapărat pentru a fi iubit de toți, ci pentru a găsi acel om, pentru care merită să iubești.

CRACIUN FERICIT si PLIN DE MIRACOLE
tuturor prietenilor - oriunde va aflati in lumea asta mare
Moni 
Mii de pupici recunascatori pentru draga mea traducatoare si verisoara Claudia Stühler  

Samstag, 23. Dezember 2017

zu Weihnachten: ZEIT statt ZEUG


Den silberglitzerden Schnee bestaunen, Futter ins Vogelhäuschen bringen, Fußspuren im Schnee machen, den organgeflackernden Kerzenschein bewundern, Kalendertürchen öffnen, hinter denen sich ein Bild versteckt, heißen Tee trinken und sich lange unterhalten, Kekse backen, spazieren gehen, ein Buch lesen, Bratapfel essen, Weihnachtskarten schreiben....
... ruhige Zeit mit der Familie und mit Freunden verbringen, Glitzerlichter bestaunen, Dankbarkeit empfinden und weitergeben. Nachdenken. Lachen. Zur Ruhe Kommen. Leben.
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Ich wünsche euch allen ZEIT für die schönen Momente im Leben, für:
Begegnungen!
Nicht unbedingt viele, aber dafür tiefe.
Antworten!
Nicht unbedingt auf alle Fragen, aber dafür auf dir richtigen.
Gesellschaft!
Nicht unbedingt ständig, aber dafür im passenden Augenblick.
Reichtum!
Nicht unbedingt viel besitzen, aber dafür unermesslich zu genießen.
Zeit!
Nicht unbedingt um alles planen zu können, aber dafür zu wissen, wann sie reif genug ist.
Perfektion!
Nicht unbedingt im Sein, aber dafür über die Vollkommenheit eines Lächelns staunen zu können.
Stärke!
Nicht unbedingt immer, aber dafür stets Halt in einer kraftvollen Mitte zu finden.
Wege!
Nicht unbedingt alle zu kennen, aber dafür instinktiv die richtigen zu gehen.
Ziele!
Nicht unbedingt alles zu erreichen, aber dafür unvorstellbar weit im Geiste gereist zu sein.
Ruhe!
Nicht unbedingt, um nichts mehr zu hören, aber um sich mal wieder auf etwas anderes besinnen zu können.
Freude!
Nicht unbedingt über jedem Augenblick, aber dafür so ehrlich wie nur möglich.
Liebe!
Nicht unbedingt um von jedem geliebt zu werden, aber um den Menschen zu finden, für den sich Liebe lohnt.
FROHE WEIHNACHTEN
wünscht euch eure
Moni

Mittwoch, 20. Dezember 2017

7 Minuten Umkleidekabine

Bildquelle: http://messe-io.de/category/maedchenflohmarkt/
Sie (nicht ich) strich schnell ihren Mantel von den Schultern und schlüpfte eilig aus ihrem (nicht meinem) blauen Kleid. 

Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass sie (nicht ich) nicht mehr viel Zeit hatte. "Schnell, schnell, noch genau 7 Minuten" murmelte sie, während sie (nicht ich) in ein viel zu weites Etuikleid aus blassblauem Lederimitat hineinschlüpfte. "Mist, zu groß, das nächste, schnell" dachte sie (nicht ich) eilig. Raus und rein ins nächste Cocktailkleid, aus schwarzer Spitze mit kleinen kupfernen Applikationen. "Kake, ich seh einfach nur Kake darin aus". Enttäuscht riss sie (nicht ich) sich auch dieses Kleid vom Leibe und ließ es auf dem Boden der Umkleidekabine fallen. Im Roten sah sie (nicht ich) auch irgendwie komisch aus, und das Graue ...., das war zu grau :( Die Zeiger der Uhr schlugen Alarm. 

"Mist, ich muss los! Beeil dich!" schrie sie (nicht ich) in Gedanken ihr (nicht mein) Spiegelbild erschrocken an. Die Haare, standen elektrisiert zu Berge, die Brille hing schief.... Der Kajal, ...wieso muss man ihn in den Innenseiten der Augenwinkel immer abtupfen?
Am Boden lagen 3-4 Kleider, sie (nicht ich) stieg storchengleich drüber. Das Feinstrickkleid wollte sie (nicht ich) erst gar nicht mehr probieren und das mit dem Bubikragen...oh Gott, viel zu bieder. Sie (nicht ich) will nicht bieder sein.
Die Uhr tickte. Noch bevor ihr (nicht mir) der Stressschweiß aus den Poren schoss, entglitt sie (nicht ich) auch dem letzten Kleid, das wir ein nasses Handtuch auf dem Boden landete.
"Mist, Mist, Kakmist! Heut passt aber auch gar nichts!"
Gestresst zog sie (nicht ich) sich (nicht mir) die Strumpfhose zurecht, zuppelte schnell an den zerwühlten Haaren, und sah auf die Uhr. "Fuuuuuuck!" in 5 Minuten beginnt der nächste Termin.
Panik!
Schnell, alle Kleider vom Boden, dem Stuhl, der Ablagefläche zusammengeknödelt und auf einen Haufen über die Ankleidestange geworfen. Gehetzt und fast schon atemlos schlüpfte sie (nicht ich) in ihren (nicht meinen) Mantel. Ein schneller Knoten in den Gürtel, die Aktentasche über die Schulter, die Brille hoch geschoben und ab die Post. 

Mit rasenden Schritten und einem hypnotisierenden Blick auf die Uhr verließ sie (nicht ich) übereilig das Modegeschäft. "Mist, noch 4 Minuten, das schaffe ich nie!" schrie sie gedanklich durchs ganze Dez. Ihre (nicht meine) Stöckel schlugen im Gleichklang mit dem Sekundenzeiger. 
An der Bäckerei vorbei, das Schuhgeschäft im Augenwinkel noch wahrgenommen, am Schmuckladen vorbeilaufend spiegelte sie (nicht ich) sich dann plötzlich im Schaufenster. 

Der Schock ihres Lebens heizte sie (nicht mich) panisch ein. Ihr Herz (nicht meines) stockte. Der halb geöffnete Mantel, der durch einen schnellen Knoten des Gürtels knappe Einblicke gewährte, zeichnete das Blau ihres Kleides nicht mehr ab. "Mein Kleid! Wo ist mein Kleid"?
Tick Tack... noch 1 Minute bis zum nächsten Termin. 

In Gedanken suchte sie (nicht ich) panisch nach ihrem Kleid und fand es mitten drin, im Kleiderhaufen der Umkleidekabine. Wie gelähmt blieb sie (nicht ich) stehen. Tick tack. Die Sanduhr war abgelaufen. 

"Das ist doch ihr Kleid, oder?" Sie (nicht ich) blickte auf, in zwei lachende Augen. "Ja" flüsterte sie (nicht ich) beschämt, griff schnell danach und schob es sich rasch in die Aktentasche. Blicke links und rechts checkten gekonnt die Lage.

Sie (nicht ich) entschied sich bei dem folgenden Termin für ein Beratungsgespräch mit hoch geschlossenem Mantel. Warum auch nicht? Es ist ja schließlich Winter draußen.

Monika C. Schmid

Magda und das fast perfekte Weihnachtschaos

Eine weihnachtliche Geschichten für alle, die noch an Feen und Elfen glauben. Und auch für alle anderen, die es gerne wieder tun würden.

Bild: Gosia Kollek
Schritt für Schritt stampfte er mühsam durch den kniehohen Schnee und schnaufte schwerfällig vor sich hin. Seit Tagen schneite es am Nordpol ununterbrochen. Eine glitzernd weiße Decke umhüllte die Welt. Er zog mühsam einen großen Wagen auf Kufen, beladen bis oben hin mit Holz, hinter sich her. Große Schneeflocken flogen wild durch die Luft und tauten langsam auf seiner feuerroten Nase. „Hatschi!“ und gleich noch einmal „Hatschi!“ tönte es lautschnalzend bis tief in den Wald hinein.

„Weihnachtsmann, meinst du nicht auch, dass du dich mal ausruhen solltest?“ Magda sah dem alten Mann tief in die Augen. Sie flatterte mit ihren kleinen bunten Flügeln ganz nah vor seinem Gesicht. „Du bist doch schon ganz krank“. „Hatschi!“ tönte es wieder und klein Magda wurde vom nassen Windstoß dieses Niesers so fest durch die Luft gewirbelt, dass sie taumelnd in einem Schneehaufen vor den großen schwarzen Stiefeln des Weihnachtsmannes landete. „Na toll!“ schimpfte sie vor sich hin, während sie sich aus dem Schneedickicht hinauskämpfte. „Sieh was du anstellt jetzt hast, nun bin ich nass bis auf die Flügel!“ Beleidigt ließ sie sich zurück in den Schneehaufen, auf ihren Hosenboden fallen und verschränkte ihre kleinen Hände vor die Brust. Sie fror. Ein Schneekäppchen lag schräg auf ihrem roten, krausen Haar. Kupferrote Sommersprossen glitzerten in der Morgensonne auf ihren Wangen und ließen sie besonders frech erscheinen. Der Weihnachtsmann ging keuchend in die Knie und hielt Magda die Handfläche entgegen. „Spring auf kleine Fee, ich bringe dich nach Hause“. Dicke schleimige Wassertropfen bildeten sich an seiner Nasenspitze und fielen in Zeitlupe auf seinem Mantel hinab. Während er durch den hohen Schnee stampfte, drang geräuschvoll kalte Winterluft durch seine rasselnde Lunge nach Draußen. Ein weißer Rauch bildete sich vor seinem Gesicht. Ein weiteres krachend lautes „Hatschi!“ wirbelte Magda kreuz und quer durch die Handfläche des Weihnachtsmannes. Sie konnte sich nur noch mit letzter Kraft zwischen Zeige- und Mittelfinger ein spreizen, um nicht hinunter zu fallen. „Leg dich doch mal hin, Weihnachtsmann, du bist doch total krank.“ Magda saß am Kachelofen und streckte ihre kleinen frierenden Flügel der warmen Flamme entgegen. „Ich kann nicht, Magda, morgen muss ich hinab zur Erde.“ „Ja, Ja! Arbeit, Arbeit, Arbeit! Ich habe schon verstanden.“ Eingeschnappt drehte sie dem alten Mann den Rücken zu und flüsterte genervt vor sich hin: „wieso kann dir nicht mal jemand helfen? Alles musst du immer alleine machen? Kein Wunder, dass du nun krank geworden bist!“
Der Weihnachtsmann setzte sich an den Küchentisch und umklammerte seine heiße Teetasse mit beiden Händen. Er wärmte sich zitternd daran. „Weißt du Magda, das ist nun mal so. Ich bin der Weihnachtsmann. Die Kinder erwarten ihre Geschenke, ob ich nun gesund oder krank bin. Ich muss morgen hinab zur Erde. Verstehst du?“
„Aber“ schrie Magda ihn an „warum hast du keinen Stellvertreter? Keinen Notfall-Weihnachtsmann? Keinen, ja was weiß ich, Weihnachtsmann-Assistenten oder so?“
Sie verließ ihr warmes Plätzchen am Kamin, flog quer durch die Küche und landete mit einem Doppellooping direkte auf die Teetasse. Dort balancierte sie gekonnt mit Ballettschrittchen entlang des Tassenrandes. „Hör zu Weihnachtsmann. Ich habe einen Plan“ flüsterte die kleine Fee „lass alle Elfen antanzen, die großen und die kleinen, die dicken und die dünnen. Alle, hörst du, keine Ausnahmen?“
Der Weihnachtsmann hob eine Augenbraue und sah das rothaarige Feenmädchen auf seiner Tasse prüfend an. „Was hast du vor, Magda?“ Seine Stimme war schon sehr schwach und sehr heiser. Magda flog zu seiner Stirne und berührte sie sanft. „Aua, du glühst ja! Ab ins Bett, alter Mann! Ich hol die Elfen!“ Im Nu flog sie durch den Türspalt hinaus, direkt in die hell erleuchtete Werkstatt. Musik drang durch die Hallen. Gut gelaunte Elfen bastelten singend an den letzten Geschenken der Kinder. Einige hämmerten und sägten, schliffen und polierten, andere packten unzählige Geschenke ein. Magda setzte sich auf den Kopf eines übergroßen Teddybären und räusperte sich laut um Aufmerksamkeit: „häm, häm. hallo! darf ich, …ähm, darf ich…“ Jingle Bells dröhnte laut aus den Lautsprechern. Eine Gruppe Elfen befüllte laut mitsingend einen riesigen braunen Sack mit bunten Geschenken. „Da kann man ja sein eigenes Wort nicht verstehen!“ schimpfte Magda und flog über die große Halle hinweg, direkt zur großen Stereoanlage. „Geh aus du Mist Ding.“ Sie trommelte mit beiden Fäusten gegen den Ausschaltknopf, der zwei Mal so groß war, wie sie selber. Doch sie konnte ihn nicht betätigen. Sie legte sie sich auf dem Rücken und trampelte mit den Füßen dagegen. „Geh jetzt endlich aus!“ schrie sie den Knopf genervt an. Sie wich einige Meter zurück, nahm Anlauf und flog mit aller Kraft gegen den Ausschaltknopf. „Autsch! Das war wohl keine so gute Idee“ jammerte sie. „Heiliges Rentierglöckchen, was soll das denn werden, wenn es fertig ist?“ Magda, öffnete die Augen. Um ihren Kopf drehten sich Millionen kleine bunte Sternchen in einer Feenstaubwolke. Über ihr war eine große Mütze gebeugt, mit Spitzen Ohren und rosigen Wangen. „Komm, ich helfe dir auf. Geht’s dir gut? Was machst du nur für Sachen?“ Magda ließ sich von Alfred hochheben, der sie zärtlich direkt auf die Stereoanlage setzte. Magda taumelte noch.
„Der Weihnachtsmann,“ ihr schossen Tränen in die Augen, „der Weihnachtsmann ist krank. Er ist so richtig, richtig krank, verstehst du, Alfi?“
Alfred schaltete augenblicklich die Musik aus. Es wurde mucksmäuschenstill in der weihnachtlichen Werkstatt. Durch alle Räume hallte nur Alfreds erschrockene Stimme: „Was? Der Weihnachtsmann ist krank?“ Die Elfen erschraken und sahen sich hilflos an. Im selben Augenblick legten sie ihre Arbeit nieder und lauschten dem Gespräch zwischen Magda und Alfred:
„Wie krank? Bist du sicher?“

„Ja, er glüht, stärker noch als Rudolfs Nase. Er hustet und niest so fest, dass mich sein Hatschi in einen Schneehaufen geschossen hat“
„Ach du grüner Donnerpups! Ich glaube, wir haben ein Problem!“
„Du sagst es Alfi! Ein echtes Mega- Problem! Weihnachten muss dieses Jahr ausfallen!“
„Ohhhhhhhh!“ Ertönte ein entsetztes Stöhnen im Elfenchor. Trauer und Verzweiflung machten sich breit. Die Elfen tuschelten und flüsterten, berieten sich und grübelten nach Lösungen.
„Es sei denn“ platzte es aus Magda lautstark heraus „wir übernehmen die Weihnachtstour!“. Sie flog steil nach oben und landete mit einem Doppellooping auf die Spitze des bunt geschmückten Weihnachtsbaumes der Werkstatt. Während sie sich ihre Ärmel hochkrempelte, verkündete sie den Elfen ihren Einfall: „Elfen, das wird der Knaller! Wir retten Weihnachten!“
Am nächsten Morgen rief Alfred, der Chef der Elfen, alle zu einer Hauptversammlung zusammen um die Weihnachtstour am Abend zu planen. Nachdem alle Aufgaben verteilt wurden, begannen die Elfen mit der Arbeit. Einige bauten die letzten Geschenke zusammen, die nächsten strichen sie Bunt an, während eine andere Elfengruppe die Geschenke im bunten Glitzerpapier mit goldenen Schleifchen einpackte. „Macht schneller, der Abend senkt sich bald übers Land!“ Magda flog in Dauerschleifen durch die Werkstatt. „Elfen, wir haben es bald geschafft! Hop hop, ihr Super-Elfis, ihr macht das prima!“ schrie sie ihnen aufmunternd zu und landete mit einem Looping auf dem halbgepackten riesengroßen Geschenkesack. „Da passt doch noch ‚ne Menge rein!“ rief sie den Elfenmädchen zu, die fleißig alle Geschenke in den Sack packten.
Alfred, längst schon draußen bei den Rentieren, bereitete alles für den Flug, hinab zur Erde, vor. Er hatte die Rentiere gefüttert, getränkt, ihnen die Route noch einmal erklärt, sie vor dem großen Wagen gespannt und mit warmen Decken zugedeckt, bis die Reise losging.
Nun war es soweit. Mit einem großen Kran, den er vor Jahren selber gebaut hatte, lud er den großen Sack mühevoll in den Schlitten. Ein Schneesturm zog auf und der starke Wind ließ den Sack in der Luft hin und her baumeln. Es sah so aus, als würde er bald weggerissen werden. Die Elfen hielten erschrocken den Atem an. „Heiliger Rentierpups!“ schrie Alfred und versuchte mit aller Kraft den Sack, gegen den Windstoß, in den Schlitten zu setzen. „Wir werden es ohne den Weihnachtsmann niemals schaffen“ flüsterte Magda so leise, dass keiner ihren Zweifel mitbekam. Schließlich gelang es Alfred sich gegen den starken Wind durchzusetzen und die Geschenke landeten unversehrt in den Schlitten. Die Elfen jubelten. Magda führte einen ausgelassenen Freudentanz auf und sprühte tausend kleine Funkelsternchen durch die Lüfte.
„Höööö, hööö!“ schrie Alfred, sprang auf den Kutscherplatz, schnappte sich die lange Peitsche und schnalzte damit drei Mal durch die Lüfte.
„Weißt du denn überhaupt, wie man einen Schlitten lenkt“ fragte Magda. Doch Alfred hörte sie nicht mehr, denn er war schongezogen. Die Rentiere nahmen ihren gewohnten Anlauf und hoben nach ein paar Metern schon steil in den Himmel ab. „Kinder, hier kommt euer Weihnachtself!“ hörte man ihn mit verstellter Weihnachtsmannstimme rufen. „So warte doch auf mich, du alter Narr, du hast doch gar keine Ahnung, was du da tust!“ schrie Magda und schoss ihm, mit einem blitzartigen Startanflug, hinter her. Glitzernder Feenstaub malte ihre Flugbahn durch die Luft nach und hinterließ eine funkelnde Linie am Himmel.
Die Elfen blieben im Schnee, vor der Werkstatt, stehen und sahen ihnen nach. Die Schlittenglöckchen klangen noch aus der Ferne. Die Rentiere wurden immer kleiner am Horizont, bis auch der kleinste Funken Feenstaub verschwunden war.
Magda hatte mit letzter Kraft den Rentierschlitten erreicht und es sich in Alfreds Fellkapuze bequem gemacht. „Sag mal Alfi“ fiel ihr plötzlich ein „weißt du eigentlich, wie der Weihnachtsmann das sonst immer so macht?“ „Hm“ Alfred schien besorgt. „Ich weiß nicht so recht“ antwortete er. Magda kletterte die Kapuze entlang und setzte sich auf Alfreds Schulter. „Das kann ja gar nicht so schwer sein“ ermutigte Magda ihn. „Komm, zeig mir mal die Liste vom Weihnachtsmann!“
Alfred sah Magda erschrocken an. „Liste?“ Welche Liste denn?“
In Magda stieg Wut auf: „das ist jetzt nicht dein Ernst, Alfi?“ Sie flog Alfred genau vors Gesicht und schlug wie wild mit ihren Flügeln: „Alfred Jakobus Nordsanktus Weihnachtself der Vierte!“ schimpfte sie mit erhobenen Zeigefinger. „wo ist die Liste vom Weihnachtsmann?“ Aus ihren Nasenlöcher funkelte bunter Feenstaub und ihre Flügelchen schlugen so schnell, dass kleine Blitze und Sterne Funken schlugen.
„Ach du heiliger Rentierknödel, die Liste liegt noch in der Werkstatt!“ fiel es ihm plötzlich ein. Vor Schreck waren sie beide wie gelähmt. „In der Werkstatt, Alfi? In der Werkstatt? Das hast du ja wieder mal prima hingekriegt! Muss man denn alles hier alleine machen? In der Werkstatt… ich glaub’s ja nicht! Da liegt sie aber gut!“
Während Magda schimpfte und schimpfte bemerkten sie beide nicht, dass die Rentiere den Anflug auf das erste Dach wagten.
„Ho, hü, halt. Jungs langsam!“ schrie Alfred erschrocken, als der Schlitten immer mehr ins Schwanken kam. Die Rentiere hatten ihre sichere Flugrichtung verloren und jedes versuchte nun irgendwie zu landen. Alfred zog wie wild an den Zügeln „hoooo, hoooo, ruuuuhig! Jungs, ruhiger!“ befiehl er. Aber nichts half. Die Rentieren gerieten in Panik und stürzten geradewegs auf den Kamin eines Hochhauses. Magda hielt sich mit aller Kraft an Alfreds Kapuzenfell fest, doch der Aufprall auf das verschneite Dach schleuderte sie und Alfred quer durch den Schlitten. Die Rentiere hatten eine filmreife Bruchlandung hingelegt und lagen, am Dach verstreut, im Tiefschnee.
„Ist jemand verletzt?“ krächzte Alfred, während er von unter einem großen Haufen Geschenken hervorkroch. Eine kleine Fingerpuppe, mit langen blonden Zöpfen lag längs über seine Zipfelmütze. Er sah so ulkig aus, dass die Rentiere ihn auslachen mussten.
„Autschi“ jammerte ein Stimmchen von unter den Geschenken empor, „autschi, mein Kopfi tut so weh!“ Magda rieb sich den roten Schopf, während sie sich ihren Weg aus dem Haufen freischlug. Kleine bunte Sterne kreisten um ihren Kopf und ihre Augen drehten sich in schwindelerregender Geschwindigkeit.
„Ach du heilige Rentierbruchlandung!“ schrie Alfred erschrocken „Magda, schau doch mal“. Er zeigte auf all die vielen Geschenke, die über das beschneite Dach des Hochhauses verteilt waren. Sogar oben am Kamin hing ein Traktor und der große, braune Plüschbär hing kopfüber zwischen Rentierschlitten und Kamin. Entsetzt sahen sie sich um. Überall Päckchen. Große, kleine, runde, ovale, bunte und einfarbige. Bei diesem Anblick schossen Magda die Tränen in die Augen. Alfred war um Trost bemüht, doch ein dicker Kloß im Hals versperrte ihm die Kehle. Magda erhob sich langsam, mit sanften Flügelschlägen zu Alfred, der sie zärtlich auf seine Schulter setzte. „Was nun Alfi?“ wimmerte die kleine Fee. So traurig hatte Alfred Magda noch nie gesehen. „Aufräumen!“ schrie Alfred, wie aus der Kanone geschossen. „Wir räumen jetzt alles wieder in den Sack und dann geht’s weiter! Hop Hop, Magda, keine Zeit für Gefühlsduselei!“ Mit einem Arm voller Geschenke stampfte Alfred durch den Schnee am Dach zum großen Geschenkesack. „Und rein damit!“ keuchte er. Beide machten sich an die Arbeit. Magda sammelte die kleinen, Alfred die großen Päckchen an. Die Rentiere guckten vergnügt und freuten sich mit ihnen, als das letzte Geschenk nun endlich und unversehrt im Sack verstaut wurde. Der Elf und die kleine Fee gaben sich vergnügt und zufrieden die Hand, während Alfred sich vor ihr verbeugte: „Madame Magdalena Felicia Lunetta Fee, sie haben großartige Arbeit geleistet“ schmeichelte er, während er ihren kleinen Handrücken küsste. „Alfred Jakobus Nordsanktus Weihnachtself der Vierte, es war mir eine Ehre, mit ihnen zusammen zu arbeiten!“ schmeichelte sie zurück, während sie eine Pirouette voller Feenstaub und Sternenwirbel in der Luft vor ihm machte. Die Stimmung ausgelassen, die Rentiere freuten sich mit ihnen. Alfred und Magda fühlten sich beflügelt, für ihre weitere Mission.
Während Alfred die Rentiere neu anspannte flog Magda durch die angelehnte Kellertüre ins Hochhaus hinein und verteilte Geschenke an die Kinder des Hauses.
„Ho Ho Hoooo, rief Alfred, als sie erneut abhoben! Los geht’s meine Lieben, die Kinder warten schon!“
Und so flogen Alfred und Magda von Haus zu Haus und verteilten fleißig und gut gelaunt alle Geschenke. Erst guckten sie durch die Fenster der Häuser und zählten die Kinder, dann holten sie die Anzahl der Geschenke aus dem Sack und brachten sie in die Wohnzimmer, wo sie diese schön unter dem Weihnachtsbaum legten.
„Ich weiß gar nicht, wofür der Weihnachtsmann überhaupt noch eine Liste dafür braucht“ wunderte sich Magda, als sie gerade auf dem Dach des letzten Hauses gelandet waren. „Es geht ja auch wunderbar ohne“.
Alfred lächelte ihr zustimmend zu und holte mühsam das letzte Geschenk aus dem Sack heraus. Es war der große braune Bär. „Was für ein Monsterbär“ keuchte er, während er ihn sich auf dem Rücken packte und mit ihm beladen auf Magdas Feenstaubleiter vom Dach hinunterstieg. Während sie am Fenster des Kindes vorbei stiegen erschrak Magda. „Du, Alfilein“ flüsterte sie ganz leise „da stimmt etwas nicht!“ Alfred sah sie entgeistert an. Magda deutete aufs Fenster des Kinderzimmers. Beide guckten hinein. Im Bett lag ein großer Junge, der war bestimmt schon 12 Jahre alt und schlief. In diesem Haus war aber kein weiteres jüngeres Kind zu sehen. „Meinst du, der spielt noch mit Teddybären?“ fragte Alfred verwundert. „Woher soll ich denn das wissen?“ antwortete Magda.
Sie kletterten verwirrte zum Wohnzimmerfenster und hüpften hinein.
Dann sahen beide sich lange fragend an. Plötzlich schoss Magda etwas durch den Kopf: „Die Liste! Alfi, die Liste vom Weihnachtsmann! Da steht doch alles drauf. Ich glaube“ sie stockte und schluckte ihre saure Spucke hinunter „Alfi, ich glaube, auf der Liste hat der Weihnachtsmann die Wünsche der Kinder notiert!“ Beide sahen sich mit weit aufgerissenen Augen an.
„Meinst du“ flüsterte Alfred verwirrt, dass wir nun allen Kindern dieser Welt irgendwelche Geschenke unterm Weihnachtsbaum gelegt haben, aber nur nicht die, die sie sich gewünscht haben?“
Magda legte sich beide Hände über dem Mund, um nicht antworten zu müssen. Aber sie nickte wie wild ein deutliches Ja.
„Ach du heiliger Rentierschiss! Wir haben alle Geschenke vertauscht!“ schrie Alfred wütend und riss sich sein spitziges Mützchen vom Kopf. Er schleuderte es quer durchs Wohnzimmer, wo es auf der Spitze eines Katzenkratzbaumes landete. Mit einem kräftigen Tritt versetzte er dem riesen großen Teddybären genervt einen heftigen Hieb, so dass er nun flach auf dem Boden lag.
Magda und Alfred standen wie angewurzelt daneben und blickten ratlos in die Lichter des Weihnachtsbaumes. Dann ließen sie sich betrübt nieder und saßen, Hand in Hand auf dem großen Bären. „Wir sind die schlechtesten Weihnachtshelfer der Welt“ schluchzte Magda. Tausend kleine Tränchen durchnässten ihr grünleuchtendes Kleidchen. Alfred legte seinen Arm um sie. „Ja, das sind wir“ flüsterte er enttäuscht. „Wir haben versagt“. 

„Da steckt ihr also!“ Eine heisere und leicht erboste Stimme durchbrach die nächtliche Stille. Magda und Alfred drehten sich erschrocken um und trauten ihren Augen kaum.
„Und ich habe mich schon gewundert, wo meine Rentiere und mein Schlitten stecken.“ Magda erkannte sofort, dass es jetzt wenig Sinn machen würde, den Weihnachtsmann anzulügen.
„Du bist doch krank, Weihnachtsmann“ erklärte sie „wir dachten, wir helfen dir und…“
„Ihr dachtet, ihr helft mir und? Und was, Magda? Und bringt hier alles durcheinander? Ein richtiges Weihnachtschaos habt ihr veranstaltet!“ Wütend hielt sich der Weihnachtsmann die Hände vors Gesicht und hustete kraftvoll hinein.
„Ich weiß,“ gab Magda achselzuckend zu und blickte traurig zu Boden. „Magda kann nichts dafür!“ fiel Alfred ihr ins Wort. „Ich habe die Liste vergessen. Ich dachte nicht, dass sie so wichtig ist!“
„Nicht so wichtig?“ fragte der Weihnachtsmann. „Jetzt seht ihr ja, wie wichtig sie gewesen wäre! Die Kinder hätte jetzt ihre richtigen Geschenke bekommen und wären morgen früh glücklich gewesen.“
„Ich weiß“ Alfred stimmte dem Weihnachtsmann zu, während er auf dem Katzenkratzbaum klettere und nach seiner Zipfelmütze fischte, die aber viel zu weit oben hing, so dass er sie nicht greifen konnte.
„Kommt mit, wir brauchen einen Plan.“ Der Weihnachtsmann stieg zum Fenster hinaus und kletterte Magdas Feenstaubleiter hinauf aufs Dach. Alfred und Magda folgten ihm sprachlos. Beschämt setzten sie sich, mit hängenden Köpfen, auf dem Platz vor dem Weihnachtsmann im Rentierschlitten. Sie wagten kein Wort mehr zu sagen, so sehr tat ihnen ihr angestelltes Chaos leid. 
Als Magda den gesattelten Nordpool-Esel Charly am Dach, bei den Rentieren sah, ahnte sie, wie mühsam seine Reise mit dem Weihnachtsmann auf dem Rücken, hierher gewesen sein musste. Sie schämte sich.
Der alte Mann blickte beide streng an. „Schaut mich an“ befahlt er. „Wir müssen das Chaos beseitigen, noch bevor die Kinder morgen früh aufwachen und feststellen müssen, dass heute Nacht etwas mächtig schiefgegangen ist. Verstanden?“ Magda und Alfred nickten brav.
Der Weihnachtsmann holte die Liste aus seiner Manteltasche, hustete noch ein paar Mal vor sich hin und öffnete sie dann. Er las. Dann faltete er sie wieder zusammen und lächelte.
„So dumm war eure Aktion ja gar nicht! Danke, dass ihr mir helfen wolltet! Aber das nächste Mal, fragt ihr mich, bevor ihr etwas ohne Erlaubnis macht. Einverstanden?“
Erleichtert sprangen Alfred und Magda auf und umarmten den Weihnachtsmann. „Hört auf, hört auf, ihr erdrückt mich ja“ lachte der Alte. „Jetzt aber hop hop, ab an die Arbeit. Wir haben etwas zum Wiedergutmachen.“
Geleitet von der Liste des Weihnachtsmannes flogen sie alle Häuser noch mal an und wechselten heimlich die Geschenke aus. Magda hackte die Namen der Kinder ab, deren Geschenk sie bereits ausgetauscht hatten, der Weihnachtsmann lenkte den Schlitten von Haus zu Haus und wies die richtigen Geschenke zu den richtigen Kindern zu. Und Alfred kletterte von jedem beschneiten Dach die Feenstaubleiter rauf und runter und tauschte die Geschenke aus. Man sah sie von Weitem durch die hell erleuchtete Sternennacht fliegen, begleitet von einem kleinen glitzernden Funken Feenstaub. Bis sie ganz verschwunden sind.

Große, weiße Flocken fielen erneut vom Himmel und bedeckten die frischen Rentierschlittenspuren im Schnee. Die ganze Welt lag wie gepudert, weiß und unberührt, unter der langsam aufgehenden matten Morgensonne. 
Als Emilia am nächsten Morgen ihre Augen öffnete, lief sie barfuß die Treppen ins Wohnzimmer hinunter. Ihre Augen strahlten vor Freude, als sie die funkelnden Lichter des Tannenbaumes sah. Vor ihren Füßen lag ihr langersehnter großer Teddybär. „Oh, Mami, Papi schaut nur, der ist ja größer, als ich ihn mir je vorgestellt habe!“ Glücklich umarmte sie ihren Teddybären.
Nur Daniel wunderte sich, als er sein lang ersehntes Teleskop auspackte und auf der Spitze des Katzenkratzbaumes eine kleine grün-rot-gestreifte Elfenmütze hängen sah.

M. C. Schmid


Ein herzlicher Dank an meine Testleser/-Zuhörer, Daniel (11 Jahre), Leonie (9 Jahre) und Emilia (5 Jahre).
Danke für eure Leidenschaft, mir die Welt durch Kinderaugen zu zeigen!

Freitag, 17. November 2017

In den Stiefeln meines Vaters

eine deutsche Nachkriegsgeschichte

Boots drawing by Robert Tomlin
Es geschah vor vielen, vielen Jahren, meine Lieben, als ich noch ein kleiner Junge war.
Da lebte ich mit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester Marion in einer Holzhütte, dicht neben der alten Stadtmauer. Der Krieg war vorbei, doch Gott hatte uns noch nicht wiedergefunden. Meine Mutter hatte keine Arbeit und mein Vater ist nicht mehr aus dem Krieg heimgekehrt. „Ich bin bald wieder da! Pass gut auf Mama und Marion auf.“ flüsterte er mir ins Ohr, damals, als sie kamen, um alle Männer zu holen. Ich nickte widerwillig. Er küsste mich sanft auf die Stirn und hielt mir seine Stiefel entgegen: „bis dahin, bist du der Mann im Haus!“
Doch die Jahre vergingen und kein Abend brachte uns unseren Vater wieder.

Als mein Vater noch bei uns war, da war alles ganz anders. Wir gingen gemeinsam in den Wald um Feuerholz zu sammeln, wir taten dies jeden Abend. Das war die Zeit, in der ich meinen Vater für mich alleine hatte, es war eine wunderschöne Zeit. Er redete gerne, und erzählte mir von den Wäldern, den Menschen und Tieren und von Gott.
Hätte ich mir jemals erträumen lassen, dass er jemals von uns gehen muss, dann hätte ich seine Nähe mehr genossen, dann hätte ich ihm nie widersprochen, ich hätte ihm alles recht gemacht. Hätte ich jemals geahnt, dass er nie wiederkommt, hätte ich niemals seine Stiefel angenommen. Doch es kam wie es kommen sollte, er war weg, und ich wurde der Mann im Hause, denn ich trug ja seine Stiefel.
Ich spielte oft mit dem Gedanken, die Stiefel einfach wegzuwerfen. Ich wollte nicht mehr der Mann im Hau sein. Vielleicht würde Vater dann zurückkommen, weil ja jemand auf Mutter und Marion aufpassen musste. Doch, das Risiko war zu groß, dass Gott meinen Plan durchschaut und ich so meinen Vater nicht zurückbekommen würde. Außerdem waren die Stiefel alles, was ich von Vater noch besaß. So ging ich also Abend für Abend alleine in den Wald und kam erschöpft mit Feuerholz nach Hause. Für die Schule war ich am nächsten Tag immer zu müde. Die Lehrerin zog mir die Ohren lang, wenn ich im Unterricht einschlief und von den alten Geschichten meines Vaters träumte, die, die mich so wahnsinnig nach ihm machten.

Manchmal stellte ich mir vor, der Krieg hätte meinen Vater gar nicht verschlungen und dass er eines Tages, glücklich lächelnd, einfach so, wieder in unserem Wohnzimmer steht und sich die Hände am Kamin wärmt, als wäre er nie weg gewesen. Ich stellte mir vor, dass er seine Stiefel einfach wieder selber trägt.
Meine arme Mutter klagte nicht. Bestrafe mich Gott, würde ich die Unwahrheit sprechen, doch diese Frau hat nie geklagt. Jede Nacht hörte ich sie weinen und sich in Sehnsucht nach meinem Vater in Tränen ertränken, doch am nächsten Morgen, glich sie sich der Gestalt einer starken Frau an. Ich bewunderte ihr Stärke und ihre Kraft und dennoch brauchte sie meinen Schutz und meine Hilfe. Sie war eine bemerkenswerte Frau, meine Mutter.
Jeden Abend, nach meiner Rückkehr mit Feuerholz, erwartete mich sie mich mit einer Schüssel lauwarmen Wasser und einem Stück wachsgelber Kernseife. Sei wusch mich, dann aßen wir zusammen zu Abend, ein Stück Speck mit Kartoffeln, oder ein Laib Brot, wenn dem Müller abends etwas übrigblieb. Manchmal sammelte Marion heruntergefallene Esskastanien vom Bauernmarkt auf oder arbeitete für einen Liter Milch im Kuhstall, bei der alten Berti mit.
Jeder Abend glich dem anderen, jeder Abend brachte den selben Morgen, jeder Morgen brachte den selben Abend. Doch kein Abend brachte uns unseren Vater zurück. Und jeder Morgen war einsamer als der vergangene und nicht so einsam wie der, der noch kommen mag.

Doch eines Abends geschah etwas, was keiner von uns jemals zu glauben vermochte.
Ich zog meine Mütze und den alten Rock an, schnürte die viel zu großen Stiefel meines Vaters zu und wollte mich etwas früher als gewohnt, auf dem Weg zum Holzsammeln machen.

Mutter hatte einige Äpfel von Marions Lehrerin bekommen. Die bekam sie immer als Dank, wenn sie für Frau Lehnchen etwas nähte. Dieses Mal war es eine Tischdecke, mit kleinen roten Blüten darauf. Heute sollte es also Bratäpfel geben. Benebelt von der köstlichen Vorstellung, nahm ich die alte Karre, die ich hinter der Hütte, gegen die alte Stadtmauer angelehnt hat und klopfte den Schnee von ihr runter. Ich zündete die alte Laterne an, und schlenderte los.

Es war eine besondere Nacht. Es war Heilig Abend. Durch halbgeschlossene Fensterläden sah ich Kinder, Eltern und Großeltern am Tische sitzen, ringsherum ein heller Schein der holden Weihnachtskerzen. Ich zog vorbei, an den Häusern voller Freude und Feierlichkeit. Väter die ihre Kinder laut jauchzend durch die Lüfte schwangen, singende Menschen die glücklich von der Kirche hinausstürmten, ein kleiner Junge der mir „fröhliche Weihnachten“ zurief. Ich sah lachende Mütter und schaute kein einziges Mal zu unserer dunklen, traurigen Hütte zurück.

Keuchend schob ich den leeren Karren vor mich hin und blies die kalte Wintersluft aus meinen Lungen hinaus, als würde ich den Rauch einer billigen Zigarre ausatmen. Die Nacht war bitterkalt und klirrende Kälte lies langsam alle Lebewesen zum Erbarmen frieren. Der eisige Schnee knirschte unter den, mir viel zu großen väterlichen Stiefeln.
An meiner Mütze bildete sich langsam ein kleiner Eiszapfen, ich brach ihn ab und lutschte voller Gier daran. Das dämpfte zumindest meinen Hunger und der Gedanke an die heißen, saftigen Bratäpfel verging allmählich.
Der Weg zum Wald war nicht weit, doch in dieser Nacht schien er mir besonders lang. Ich folgte dem kleinen Pfad, den mein Vater früher immer mit mir gegangen war. Ich hörte ihn schon sagen: „Tritt immer schön in meinen Spuren, Junge. Dann fällt dir das waten durch den frischen Schnee nicht so schwer!“ Nun war er nicht mehr da, und ich hatte keine einzige Spur mehr, die mir den Weg erleichtern konnte. Ich blickte aber immer wieder gerne zu meinen eigenen Fußspuren im Schnee zurück und stellte mir vor, mein Vater hätte sie gemacht. „Vater, nicht so schnell, ich komm ja kaum noch nach“ flüsterte ich unter Tränen, und ging alleine meines Weges weiter.
Oh, heilige Maria Mutter Gottes, wie sehr mir mein Vater fehlte, wie sehr ich ihn mir doch ersehnte.
Die Karre wurde immer schwerer, obwohl noch kein einziges Ästlein darin war. Ich entschloss zu rasten, blieb stehen und zog den Wagen aus dem Weg. Erschöpft lehnte ich mich an ihn an und brach mir einen zweiten Eiszapfen vom Mützenrand ab und gerade, als ich ihn in den Mund stecken wollte, entdeckte ich sehr seltsame Spuren im Schnee.
Ich beugte mich nach vorne, ging auf die Knie und blieb voller Erstaunen im Schnee hocken. Die nasse Kälte des Schnees drang durch die Hose und schmerzte an meinen Beinen.
„Heilige Maria Mutter Gottes“, dachte ich verwirrt und folgte neugierig den Spuren durch den Tiefschnee. Die wichen von meinem Pfad ab und führten ins Innere des Waldes.
Ich stampfte durch den schweren Schnee hindurch. Mir war kalt, dass Gott erbarm, aber ich konnte jetzt nicht mehr umdrehen, denn ich wollte zu gern wissen, wem wohl diese wunderbaren Abdrücke im Schnee gehörten. Ich hielt meine Laterne zitternd immer weiter in die Höh, weil die Dunkelheit keinen Durchblick mehr erlaubte.
Ich wanderte durch den dichten Tann, an verschneiten Tannenzweigen entlang und mein Blick wich keinen Augenblick von den Spuren im Schnee.
Und ich muss ehrlich zugeben, Gott möge mich bestrafen, würde ich die Unwahrheit sprechen, aber plötzlich geschah es, dass alles rings um mich hell wurde und ich von dem Glanz und der Pracht dieses Anblickes geblendet war. Meine Laterne ging aus. Ich blieb erstarrt stehen

Heilig Maria, Mutter Gottes, ich glaubte, ich träumte. Ich war mir gewiss, die Kälte würde ein übles Spiel mit mir treiben, ich war mir gewiss ich träumte das alles gerade nur.
Aber die  Kälte wich allmählich, der Eisdampf meines Atems verschwand, die nasse Hose tat nicht mehr weh und die eisigen Füße in Vaters Schuhe waren wohlig warm. Ein sanftes Licht erhellte die finstere Nacht.
Meine Seele war voller Wärme und Freude, mein Herz voller Glück und Zufriedenheit. Meine Gedanken waren leer und meine Worte waren stumm.
„Ist da jemand?“ flüsterte ich, wild umherblickend, durch die stille Nacht. „Hallo?“ Doch kein Geräusch war mehr zu hören. Die Welt hielt den Atem an.
„Vater“ dachte ich. „Vater, wärst du doch hier.“ Ich hatte nie wieder, seitdem mein Vater in den Krieg gezogen war, dieses Gefühl der Vollkommenheit und Freude empfunden und lächelte dem Himmel, zwischen den hell erleuchteten Baumkronen, entgegen.
Da, mir erschrocken fiel ein, dass ich kein Holz fürs Feuer gesammelt hatte, wo meine Mutter heute, am Heilig Abend, die Bratäpfel für uns zubereiten wollte. Doch das schien mir egal zu ein. Ich wollte nichts anderes, als sofort nach Hause zu kommen. Ich musste meiner Mutter und Marion unbedingt von diesem wunderbaren Geschehen berichten. Ich packte meinen Karren und die erloschene Laterne, rückte meine vereiste Mütze zurecht und stampfte Richtung heimwärts durch den hohen Schnee, durch die engen Bäume.
Ich war so glücklich und konnte es nicht deuten.
Und da, ich war bereits an meiner heimatlichen Hütte angelangt und wollte den Karren an die alte Stadtmauer anlehnen, da nahm ich fröhliche Stimmen und einen köstlichen, heißend dampfenden Bratapfelgeruch wahr. Verwirrt blieb ich stehen und lauschte. Und tatsächlich, entnahm ich dies alles aus dem Inneren unserer armen Hütte. Ich traute meinen Ohren kaum, noch traute ich meinen meiner Nase, die diesen köstlich feierlichen Geschmack von Bratapfel und Tannenduft ganz erregt entgegenzitterte. Ich versuchte durchs Küchenfenster hineinzuspähen, doch das war angelaufen und ich konnte nur farbige Silhouetten erkennen.

Ich schüttelte den Schnee von meinem Mantel ab und stampfte mit riesengroßen Sprüngen den festgeklebten Schnee von Vaters Stiefeln ab. Dann öffnete ich die Tür zu unserem Hause und mir entgegnete ein Hauch von Fröhlichkeit, Wärme und von Bratapfelgeruch. Ich blieb wie angewurzelt im Türstock stehen. Sanfter Schneesturm drang in die warme Stube, an mir, vorbei. Mit einer Hand riss ich mir die Mütze vom Kopf, mit der anderen rieb ich mir die Augen wund. Denn ich träumte, meine Mutter würde wieder herzlich lachen und Marion lief glücklich durchs Zimmer. Ich träumte, im Kamin brenne ein Feuer und der Tisch sei mit Köstlichkeiten gedeckt. Die kalte Luft von draußen peitschte mir um die Ohren.
Glasige Kristalle stiegen in meinen Augen auf und ließen mein Bild langsam verschwimmen, denn ich träumte, dass neben Vaters alten Stiefeln an meinen Füßen, ein gleiches, neues Paar Stiefeln stand. 

Sonntag, 8. Oktober 2017

Sich ineinander vermischen

Nehmen und geben, 
schweigen und reden, 
zögern und wagen, 
sich freuen und klagen. 
Warten, stillstehen, 
aufeinander zugehen.
Zusammenfinden,
sich für immer binden,
sich ineinander vermischen,
ohne sich selbst zu verwischen.
Sich miteinander vermengen,
ohne sich selbst zu beengen.
Sich selber verlieren
und zu zweit wiederfinden,
sich für immer,
untrennbar,
miteinander verbinden.

Sich lockerlassen,
um sich wieder nacheinander zu strecken,
sich Freiraum geben,
um sich wieder neu zu entdecken.
Sich nah zu sein,
ohne sich zu nahe zu treten,
sich täglich zu sehen,
ohne alltäglich zu werden.

Freudvoll und leidvoll,
ein Ganzes sein,
zusammen verbunden
und nie wieder allein.
Sich öffnen,
sich zeigen,
sich verschenken
ohne sich dabei zu verrenken.
Aus zwei wird eins,
aus meins, wird deins.
Miteinander verwoben,
dennoch frei!
So bleiben im Eins
für immer
Zwei.

(Oktober 2017)
für Nicole und Patrik zur Hochzeit 💝


Monika C. Schmid/ Autorin

Donnerstag, 3. August 2017

Das Kleid meiner Mutter


Langsam nahm ich den Kopfhörer von den Ohren und legte ihn mir vorsichtig um meinen Hals, um das plötzlich polternde Geräusch von Draußen besser hören zu können. Erschrocken hielt ich die Luft an und lauschte in die Ferne.
Erst krachte es, dem folgte ein Zischen. Danach wurde das Donnern immer lauter.
Ich setzte mich erschrocken auf und starrte das Fenster an, während Leya und Mina noch ruhig neben mir im Bett schliefen. Es donnerte erneut. Ich erschrak wieder. Es krachte plötzlich so laut, dass im Haus die Lampen klirrten und die Möbel von den Wänden sprangen.
Ich drehte erschrocken meinen Kopf zum Fenster, starrte in die Dunkelheit und sah, wie plötzlich immer mehr Sterne vom Himmel herab schossen und sich, beim Aufprall auf der Erde, in große Feuerbälle, auflösten.
Schreie! Immer mehr Schreie von draußen durchdrangen die nächtliche Stille. Sie wurden lauter und schriller. Die Schreie schienen immer näher zu kommen.
Plötzlich riss mein Vater im Schlafanzug die Türe des Kinderzimmers auf. Sein Gesicht war vor Entsetzen und Panik verzogen: „Bomben! Bomben! raus mit euch!“ Ich erkannte seine Stimme kaum mehr, so sehr hatte sie die Angst verzerrt.
Meine kleinen Schwestern, vom Lärm längst aus ihrem Schlaf gerissen, schrien erschrocken und klammerten sich ängstlich an mir: „Amira, Amira, was ist los?“ Ich wusste keine Antwort. Ich streichelte nur zärtlich über ihre Haare und sah Papa in die Augen. Sie waren weit aufgerissen und tränendurchtränkt. Seine Lider zitterten. „Amira, pack die Kleinen und raus hier!“
Noch bevor ich mich aus meinen Decken und Kissen befreien konnte, hörten wir, wie das Krachen erneut losging. Wie gelähmt und ohne einen Atemzug zu wagen, lauschten wir diesen zischenden Geräuschen, die direkt über uns flogen. Wir starrten stillschweigend an die Decke. Nur die Augen folgten dem Geräusch. Keiner bewegte sich.
Ein letzter Blick zu meinem Vater. Seine Augen starrten mich panisch an. Seine Lider zitterten. Meine Schwestern, vor Angst an mich geklammert, ihre kleinen Köpfchen in meinem Schoß versteckt.
Niemand wagte sich zu rühren.
Plötzlich gab es einen so lauten Knall, dass wir uns die Ohren zu hielten.
Das Haus fing an sich selbst zu zerschmettern.
Es fiel von oben und von unten und von allen Seiten in sich zusammen.
Staub, Bretter, Feuer, Steine, Teller, Möbel, Blut. Alles flog umher und verwischten sich in Farben und Tönen, die so laut und grell waren, dass ich meinte, mein Kopf würde bald platzen.
Nach einer Weile, es kann nicht lange gedauert haben, hörte das Haus auf, auseinander zu fliegen.
Ich fand mich laut schreiend wieder, irgendwo im Haus. Mein Mund war weit aufgerissen und meine Lungen pressten aus dem tiefsten Inneren immer neue Luft nach oben, die ich für meine Schreie benötigte. Doch, ich hörte das längst nicht mehr. Durch meine Ohren tönte nur ein lautes Pfeifen, das mir die Sinne durchbohrte. Ich hustete. Nachdem ich meine letzte verbleibende Luft aus den Lungen hinausgeschrien habe, füllten sie sich mit trockenem, stickigem Staub. Ich hustete erneut. Ich übergab mich.
Zwischen meinen Wimpern klebte nasser Staub, ich konnte nichts als verschwommene Bilder mehr sehen. Ich versuchte die Augen zu öffnen. Zwischen rotnassen Tränen spähte ich in den Raum. „Leya! Mina!“ ich flüsterte ihre Namen. Hustend versuchte ich erneut nach meinen Schwestern zu rufen, doch ich erhielt keine Antwort. „Papa! Papa! Papa?“ Ich musste erneut husten, würgen, mich übergeben. Saurer Kartoffelbrei verbreitete sich auf dem Kragen meines Nachthemds und lief in meine Kopfhörer, die ich mir um den Hals gelegt hatte.
Langsam begriff ich, was passiert war. Erschrocken sah ich mich um. Panisch drehte ich den Kopf in alle Richtungen und versuchte mich zu bewegen. Irgendetwas hielt mich fest. Es drückte mich zu Boden. Es tat so verdammt weh.
Über mir lag ein großes schweres Brett. Das musste die Türe gewesen sein. Der kupferfarbene Türgriff, mit den schönen Verzierungen darauf, bohrte sich in meinem Bauch. Ich ertastete ihn sanft. Er steckte links, unter meinen Rippen, fest. Meine Finger zitterten an der nassen, warmen Stelle an meinem Bauch und versuchten, den Griff mit samt der Türe wieder hochzudrücken. „Ich werde verbluten, wenn er raus ist!“ schoss es mir plötzlich durch den Kopf.
Neben meinem rechten Ohr züngelte ein Feuer. Ein großer Dachbalken, der sich gut zwei Meter hoch über mir zwischen Wand und anderem Schutt gespreizt hatte, schien seine Kräfte zu verlieren und fing an, nach unten zu rutschen. „Ich muss hier raus!“ feuerte ich mich an „ich muss hier raus, ich muss hier raus!“ wiederholte ich immer wieder. Ich packte erneut mit voller Kraft den Türgriff und schob gleichzeitig mein Becken in die Höhe. Die Türe bewegte sich. Ich bäumte mich auf und die Türe über mir fiel, mit einem lauten, staubenden Krach, zur Seite. Mein Körper schmerzte. Ich schrie laut auf. Das warme Blut durchtränkte mein Nachthemd. Ich bohrte meine ganze Hand in die offene Wunde hinein und kroch unter Möbeln und stieg über Bretter und Steinen und irrte schreiend umher. Ich konnte mich nicht mehr im Raum orientieren und gelang an einem Abgrund. Das Hochhaus hatte sich zweigeteilt. Ich sah in die Tiefe. Mama? Mama! Da unten lag Mamas haselnussbraunes Kleid. Und darüber der Kamin. Mein Bauch schmerzte. Ich hustete blutigen Staub. Ich übergab mich erneut. Das Pfeifen und Rauschen in den Ohren wurde immer leiser und schien ganz fern zu sein. Feuerzungen peitschten nach mir. Mein Nachthemd fing Feuer. Durch die verklebten Wimpern sah ich nur noch Mamas Kleid. Ich wandte mein Blick nicht mehr von ihr ab. Im nächsten Atemzug wurde alles schwarz.
„Hey, aufwachen! Amiiiiraaa!“ Ich öffnete meine müden Augen und sah meiner Deutschlehrerin direkt ins Gesicht. Sie hatte sich so weit nach unten zu mir gebeugt, dass ich ihren Pfefferminzatem spüren konnte. „Hey Mädchen, geschlafen wird zu Hause!“ sagte sie lächelnd und strich mir aufmunternd über mein Kopftuch. Ich stöhnte lächelnd auf und nahm meinen Bleistift zwischen meine vernarbten Finger und schrieb von der Tafel ab: „ich lache, du lachst, er sie es lachen, wir lachen.“
Nach der Stunde bat mich Frau Beer zu sich. Sie meinte, ihr sei aufgefallen, dass ich nicht bei der Sache bin und ständig schlafe. Ob etwas mit mir sei, fragte sie besorgt. Ich würde mich nicht ins Klassenklima fügen und … Ich antwortete ihr, dass ich meine Tage hätte und dass ich nicht viel gegessen hätte und sowieso, sei es mir heute viel zu heiß. Frau Beer schien mit der Antwort zufrieden und schickte mich in die Pause.
Noch bevor ich in mein Butterbrot beißen konnte, ereilte mich eine dringende Whatsapp von Papa: „du musst kommen, sofort. Habe Termin Arbeitsamt. Dollmetschen“. Oh nein, das hatte ich ganz vergessen.
Ich täuschte Frau Beer einen plötzlichen Kopfschmerzanfall vor und nahm den Bus nach Hause, um Papa abzuholen und ihn zum Arbeitsamt zu fahren. „Wieso kommst du so spät?“ flüsterte er genervt, während er mit einer seiner Krücken vergeblich nach seinem Schuh angelte. „Hab ich Termin, weißt du Kind!“ Ich bückte mich lächelnd und half Papa seinen linken Schuh anzuziehen, den rechten brauchte er, seit der Nacht, in der die Sterne vom Himmel fielen, nicht mehr!“
Er lächelte mich dankend an, ich nickte achtungsvoll zurück.
Nach dem Besuch beim Arbeitsamt musste ich mit Papa noch zu seinem Arzt, weil er nicht mehr schlafen kann und täglich starke Kopfschmerzen hat. Der Arzt sagte, er hätte posttraumatische Belastungsstörungen und seine Seele sei krank geworden und dass er ihn morgen noch mal sehen möchte.
An diesem Tag gingen wir noch Essen einkaufen und ich kochte für mich und meinem Vater. Danach wusch ich unsere Wäsche, machte den Haushalt und holte die Medikamente für Papa aus der Apotheke. Nachdem ich seinen vernarbten Beinstumpf neu verbunden hatte, räumte ich den Tisch frei und lernte mit Papa deutsch. „Gutes Mädchen“ sagte er verschämt und küsste meine Stirn. „Dank Allah, ich dich noch habe“. Wir tranken Tee. Papa schluckte seine Tränen hinunter, meine fielen tonnenschwer ins Deutschheft, direkt auf den Akkusativ.
Mein Vater war längst ins Bett gegangen, doch ich hielt mich noch lange mit dem Akkusativ und dem Dativ am Küchentisch auf. Es war kurz vor Mitternacht und ich stieg müde in mein Bett.
Ich setzte mir meine Kopfhörer auf, damit ich die Stimmen in meinem Kopf nicht mehr hören muss und blickte traurig nach links und nach rechts. Mein Bett war leer und noch leerer, mein Herz. Da draußen vor dem Fenster ruhte der Mond in Frieden.
"Gute Nacht Mama, gute Nacht Leya und Mina, Allah beschütze euch", flüsterte ich, küsste einen haselnussbraunen Stofffetzen, den ich von unter meinem Kissen hervor zog und kuschelte mich an ihn. Irgendwann schlief ich musikhörend,ein.
Doch plötzlich erschrak ich und fuhr in die Höhe. Ein lauter Knall dröhnte durch meinen Körper.
Ich legte den Kopfhörer um meinem Hals, um das plötzlich polternde Geräusch von Draußen besser hören zu können. Erst krachte es, dem folgte ein Zischen. Danach wurde das Donnern immer lauter.
Ich setzte mich erschrocken auf und starrte das Fenster an, während Leya und Mina noch ruhig neben mir im Bett schliefen. Es donnerte erneut. Ich erschrak wieder. Es donnerte und krachte plötzlich so laut, dass im Haus die Lampen klirrten und die Möbel von den Wänden sprangen.
Sterne fielen vom Himmel und lösten sich in große Feuerbälle auf.
Schreie! Immer mehr Schreie!
Plötzlich riss mein Vater im Schlafanzug unsere Zimmertüre auf. „Bomben! Bomben! raus mit euch!“
Meine kleinen Schwestern klammerten sich ängstlich an mir: „Amira, Amira, was ist los?“ Ich wusste keine Antwort.
Ein letzter Blick zu meinem Vater. Seine Augen starrten mich an. Seine Lider zitterten. Meine Schwestern, vor Angst an mich geklammert, ihre kleinen Köpfchen in meinem Schoß versteckt, begraben, für immer.
Und dann, sah ich erneut in den Abgrund und sah Mamas Kleid. Und darauf der Kamin.
„Amira, es gibt Regeln, an die auch du dich halten musst!“ sagte Frau Beer, während sie Frau Niebling, die Sozialarbeiterin der Schule, Zustimmung suchend ansah. „Regeln?“ ich wusste nicht genau, was sie damit meinte. „Ja, meine Liebe. Schlafen im Unterricht ist ein Regelverstoß. Außerdem hast du viel zu viele Fehlzeiten. Du kannst doch nicht ständig vom Unterricht fehlen. Du verpasst einfach zu viel Stoff. Ich will doch einfach nur,…“ Frau Niebling, die dem Monolog von Frau Beer aufmerksam zuhörte, sah mich lange an und streckte die Hand nach mir aus. Ich gab sie ihr einfach. Sie rückte dann etwas näher und fragte: „und diese Träume, Amira, kommen sie jede Nacht?“
Frau Beer wurde kurz still, setzte dann erneut an, um ihren Satz zu vollenden, doch meine Hand in Frau Nieblings Hand schien sie zu verwirren. Sie beendete ihren Satz im Flüsterton, doch ich weiß nicht, wovon sie sprach. „Ja, jede Nacht“ zitterte es aus mir heraus. „Magst du mir mal davon erzählen?“ Frau Nieblings Augen waren interessiert und ehrlich und sie zwinkerte mir zu, als sie „bei einer guten Tasse Tee“ hinzufügte.
"Ich mag Tee", flüsterte ich fast lautlos und entdeckte in ihren Augen das selbe wunderbare Haselnussbraun, wie das vom Kleid meiner Mutter.
nach eine wahren Begebenheit....

Mittwoch, 2. August 2017

Mein Vater

Du öffnest deine Hand und ich lege meine hinein,
deine groß und kräftig, meine zierlich und klein,
so stark und fein,
da bin ich daheim!
Und ich kann mich ein Leben lang auf eines verlassen,
meine Hand wird immer in deine Hand passen.
Meinen Herzschlag und mein Wesen, hast du mir geschenkt,
meine Gedanken und Sprache, geformt und gelenkt,
mein Vertrauen in Gott und an das Guten dieser Welt,
hast du mir von Geburt an, zur Verfügung gestellt
und mich gelehrt, zu glauben, zu hoffen und tolerant zu sein,
und die Welt zu hinterfragen, ganz tief in mich hinein,
da liegt das Geheimnis der Zufriedenheit,
Lernen aus der Vergangenheit
und sich auf den Morgen freuen.
Alles annehmen,
nichts bereuen,
sich des Lebens ehrlich freuen,
ohne sich der Zukunft scheuen.
Deine große Hand, hat meine mit Sorgfalt umschlossen,
bei jeder Träne, die ich vergossen,
bei jedem Herzschmerz, der mich bedrückt,
bei jedem Schicksalsschlag, der mich niederdrückt.
Deine große Hand, hat mir die Richtung gezeigt,
bei jedem Weg, der sich verzweigt,
bei jeder Prüfung, die mich verschlingt,
wusste ich, dass sie mir gelingt,
denn du hast meine Hand nie losgelassen,
ohne auf mich aufzupassen,
oder mich allein gelassen.
Und ich kann mich ein Leben lang auf eines verlassen,
meine Hand wird immer in deine Hand passen.
Ich bin so stark, durch das Vertrauen, das du mir schenkst,
ich bin so mutig, weil du mich mit deiner Zuversicht lenkst,
ich atme frei, durch deinen starken Rückenwind,
ich schreite voran, weil hier deine Fußspuren sind.
Von Vater,
zu Kind,
vorbestimmt
gleichgesinnt
weil wir so sind.

Ich wachse über mich hinaus, weil du mir Flügeln gibst,
und ein Netz unter mich spannst und wachsam bist,
falls ich mich im Fluge verrenne,
oder den richtigen Weg nicht mehr kenne.
Dann fängst du mich auf, gibst mir neuen Mut und dann,
probieren wir es erneut, so oft, bis ich irgendwann
von ganz alleine fliegen kann.
Und ich kann mich ein Leben lang auf eines verlassen,
meine Hand wird immer in deine Hand passen.
(1. August 2017)

Montag, 24. Juli 2017

Literarischer Abend - ein Autoren Rockkonzert

20. Juli 2017, Egelsee
Der Saal war voll!
Susanne hatte ihren ersten Text gelesen!
Ich war gerührt.
Unsere Blicke trafen sich.
Wir lächelten!
Ich atmete tief durch und trat, mit leicht zittrigen Händen, vors Publikum.
Ruhe!
Die Ruhe drang in jede Faser meines Körpers und ich wusste, jetzt bin ich dran!
Endlich!
Und sie lauschten..., sie lauschten meinen Worten und hielten mich mit ihren Blicken fest.
Und niemand atmete mehr!
Und ich? Ich rezitierte aus tiefster Seele!
Susanne? so wunderbar bezaubernd!
Musik? Einfach unbeschreiblich (be-)rührend!
....
und dann, war es leider schon vorbei!
Applaus! Tosender Ablaus der nie mehr enden wollte!
Wir? total ergriffen!

DANKE an alle, die uns diesen wunderbaren Moment unseres Lebens ermöglicht haben!


Programmheft

unser Publikum

EmMaLuMi (musikalische Begleitung)

Susanne Kammerer (meine wunderbare Autorenkollegin)

unter die Haut 

Susanne Kammerer mit "Leah" 

ich mittendrin 

Abendimpressionen

Abendimpressionen


Abendimpressionen

der Verein für Brauchtum und Kultur in Laaber bedankt sich

Autogrammstunde
Susannes Bericht über unseren Abend findet ihr hier: https://daskleinegrosseglueck.de/unser-literarischer-abend/

mehr von meiner lieben Kollegin, Susanne Kammerer, findet ihr hier www.daskleinegrosseglueck.de

Dienstag, 11. Juli 2017

Literarischer Abend


L I T E R A R I S C H E R A B E N D
mit
SUSANNE KAMMERER und MONIKA SCHMID
unter dem Motto:

"Wortkunst und Gedankenspiel mit Kurzgeschichten und Gedichten"

Wir werden einige unserer selbstgeschriebenen Lieblingswerke vorlesen und freuen uns darauf, gemeinsam mit euch allen, einen schönen literarischen Sommerabend zu erleben.

Die Lesung findet im Gartenbereich des Kindergartens St. Marien in Eglsee statt. (Bei schlechtem Wetter oben im Jugendraum).

Donnerstag, 20 Juli 2017
Sektempfang ab 19:30 Uhr
Lesungsbeginn ab 20:00 Uhr

Musikalische Begleitung: EmMaLuMi

Eintritt: frei
Spenden gerne erwünscht

Die Autorinnen:
S u s a n n e K a m m e r e r
http://daskleinegrosseglueck.de/
https://www.facebook.com/susanne.kammerer.9?ref=ts&fref=ts

M o n i k a S c h m i d
https://wortorchester.blogspot.de/
https://www.facebook.com/Wortorchester/

Gastgeber:
Verein für Kultur und Brauchtum Frauenberg e.V.
https://www.facebook.com/events/1484728994904537/?active_tab=about

Montag, 10. Juli 2017

Meine Angst


Everyone is scared and dread.
Fear is hiding underneath your bed.
Fear is hiding inside your head.

Fear is hiding behind your eye.

Fear is a fucking madly guy.
Fear'd be there until you die....

Erschrocken öffnete ich die Augen und starrte an die dunkle Decke. Das Ticken meiner Uhr wirkte bedrohlich laut und ich hielt den Atem an.

„Habe ich die Haustüre abgesperrt? Hab ich?“ Schon stellte ich mir vor, wie ein Einbrecher auf der Türschwelle stand und mit gebückter Gangsterhaltung die Türe zu öffnen versuchte.
Was ist, wenn es kein normaler Einbrecher ist, sondern ein Massenmörder, der Kindern und Frauen die Augen aussticht und sie ausbluten lässt und den Familienvater entführt um ihm irgendwo in einem Bunker gefangen hält und …. „STOP, hör sofort auf damit!“ schrie ich mich in Gedanken wütend an. „Es ist niemand hier…niemand! Geh schlafen!“

Ich habe irgendwie ständig Angst vor irgendwelchen surrealen Sachen, die ich mir ausdenke, obwohl es mir zeitgleich vollkommen einleuchtend ist, dass ich mir bewusst etwas einbilde, und ich mich auf keinen Fall in Gefahr befinde. Aber nur annähernd das Gefühl zu haben, auf eine bedrohliche Situation vorbereitet zu sein, verleiht mir Flügel.
Irgendwie neige ich zum psychischen Masochismus. Kennt ihr sowas? Ich hoffe, nicht! Es macht süchtig und natürlich ganz viel Angst.

Ich habe zum Beispiel auch Angst davor, in Restaurants mit dem Rücken zur Türe zu sitzen, weil ich im Falle eines Überfalls die Männer mit den Maschinengewehren nicht sofort sehen kann und in den Hinterkopf erschossen werde, noch bevor ich sie hätte erblicken können und mir denken hätte können: „Ach, Mist! Männer mit Maschinengewähren!“ Darum sitze ich immer, egal in welchen fremden Räumen ich mich befinde, mit dem Blick zur Türe.

Ich habe auch Angst vor Räumen, die sich unterhalb der Erdoberfläche befinden, wie Weinkeller oder einfach nur Pubs oder Discos im Untergeschoss, weil ich das Gefühl habe, dass ich nie wieder das Tageslicht sehen kann und wie ein Untertage-Bergarbeiter nach einer Kohlestaubexplosion im Bergwerk verschüttet werde. Solange ich mich in einem Keller befinde, erwarte ich jede Sekunde eine Verschüttung und behalte den Fluchtweg konstant im Auge. Manchmal zähle ich auch banale Countdowns, die willkürlich irgendwo anfangen und kein Ziel haben…einfach so.

Ich habe aber auch sehr große Angst vor Höhen. Oh, ich hasse Höhen, denn ich habe zum Beispiel Angst davor, dass ich auf einem Berggipfel ohne Gelände stehe und mich der Wind auf einmal in die Tiefe weht und ich vor lauter Angst total vergesse, mir mein Leben im Fall noch mal Revue passieren zu lassen. Und einfach ganz unspektakulär, ohne Rückblick, sterbe. Darum fange ich auf jedem Berggipfel immer schon mal, prophylaktisch an, an meine Kindheit zu denken.

Kennt ihr diese Angst, im Supermarkt nichts zu kaufen? Ich habe Angst, mich mit leeren Händen durch die Supermarktkasse nach Draußen durchzuschlängeln und dabei mit der Verkäuferin Blickkontakt haben zu müssen. Ich habe Angst, dass ich dabei nicht harmlos genug aussehe und dass man dann vermutet, ich sei ein Ladendieb, der sich etwas in die Unterhose versteckt hat und dass, sobald ich durch die Ladentüre gehe, rote Lichter an und ausgehen, Sirenen heulen und mich ein Sondereinsatzkommando mit schwarzen Uniformen zu Boden drückt und im Namen des Gesetzes verhaften. Darum kauf ich immer etwas, auch wenn ich nichts brauche.

Ich habe so viel Angst und fast am meisten habe ich Angst vor Arztbesuchen.
Angst davor, dass ich wegen einer banalen Erkältung zum Arzt gehe und er mir dann sagt, dass ich bald sterben muss. Oder davor, dass ich mal richtig krank bin, der Arzt allerdings nichts findet und mich wieder nach Hause schickt und alle denken ich bin ein Hypochonder. Und ich habe Angst, dass ich also darum nicht mehr zum Arzt gehe, weil ich weiß, dass mir ja eh keiner glaubt, dass ich wirklich etwas habe und ich dann doch vielleicht wirklich krank bin und man mich dann irgendwann, wenn alles zu spät ist in der Notaufnahme fragt: „warum sind sie denn nicht zum Arzt gegangen?“ Und dann wird es zu spät sein und ich sterbe einfach.

Gestern zum Beispiel hatte ich große Angst das Verbrannte von der Grillwurst zu essen, weil ich Krebs bekommen könnte und ich dann zum Arzt geh und er nichts findet, weil er glaubt ich sei ein Hypochonder und ich dann in der Notaufnahme sterbe, bevor sie mich fragen konnten, warum ich so spät zum Arzt komme.

Ich habe auch Angst Selbstgespräche zu führen, weil ich vielleicht über Abhörwanzen in Blumentöpfen abgehört werde und als Staatsfeind verurteilt in Einzelhaft den Rest meines Lebens alleine verbringen muss. Und dann einfach dort sterbe.

Ich habe auch Angst, dass ich immer zu viel rede und dass ich mich eines Tages um Kopf und Kragen rede und dass alle Menschen dann plötzlich merken, dass ich gar nicht nur das normale, nette und witzige Mädchen von Neben bin, das Gedichte schreibt, die keiner liest. Sie könnten entdecken, dass ich ja doch eine außergewöhnliche, interessante und intellektuelle Persönlichkeit bin, voller Charisma und Charme.

Würde man das eines Tages entdecken, dann könnte ich längst nicht mehr nichts können, für all das was ich scheine, nicht zu können, sondern müsste auch alles können, was ich kann. Und könnte nicht mehr nach der Devise leben: Lieber 5 Minuten dumm stellen, als ein halbe Stunden zu arbeiten.

Weiterhin habe ich eine latente, aber stets wachsame Angst vor Organdieben, die mich entführen könnten (während ich noch quicklebendig bin), und mich aufschlitzen und mir einfach eine Niere klauen und mich dann irgendwo am Straßenrand blutend, mit stümperhaft zugenähter Wunde einfach liegen lassen und ich dann in der Notaufnahme gefragt werde: „wo ist ihre Niere?“ … und ich weiß es einfach nicht. Darum habe ich auch noch keinen Spenderausweis… was ich sehr nachvollziehbar finde.

Meine älteste Angst, die mich seit Kindertagen begleitet ist die Angst vor fremden Männern in, bis unter dem Kinn zugeknöpften, Trenchcoats. Ich habe nämlich richtige Angst, sie an der Straßenecke oder in Parks anzusehen, weil sie dann vielleicht meinen, ich hätte bewusst Kontakt zu ihnen aufgenommen und kommen zu mir, öffnen ihren Mantel und zerstören mein schönes Männerweltbild für immer. Und dann werde ich beziehungsgestört und habe ein Leben lang Angst vor Trenchcoats, obwohl ich sie eigentlich recht schön finde. Andersrum habe ich aber auch Angst ihren Blickkontakt zu meiden, weil sie sich dann vielleicht beleidigt fühlen könnten und dann alle kommen, jeder einzelne, um mich zu holen und mich nachts in gut beleuchteten Parks unter eine Straßenlaterne schleppen, nur um ihren Trenchcoat zu öffnen und mich, geschockt darüber, was ich zu sehe bekomme, in ein Leben in sexueller Enthaltsamkeit treiben. 

Ich habe immer noch Angst vor dem Monster unter meinem Bett und dass es, sobald es einen nackten Fuß sieht, genüsslich da hinein beißt.

Ich habe Angst, des Nachts beim Autofahren in den Rückspiegel zu gucken, weil ich den Augenkontakt mit dem Massenmörder auf der Rückbank vermeiden möchte.

Ich habe Angst am Kopfsteinpflaster auf die Fugen zu treten, weil ich eben noch nicht weiß, was dann passieren könnte.

Ich habe Angst, vor Kinderschändern wenn ich im Dunkeln alleine durch den Park gehe, weil ich mit 1,62 kein wirklich erwachsenes Bild abgebe.

Ich hab Angst vor Fahrstühlen, wenn nur noch eine einzige Person und ich darin sind. Es könnte sein, dass einer von uns pupst, und er dann sofort weiß, dass er es nicht war.


Ich habe Angst vor Pilzinfektionen und Warzen,

und vor Muttermalen, ihr wisst schon, diese schwarzen.

Ich habe Angst vor Mundgeruch und Achselmief

Vorm modrigen Bücherarchiv.

vor Vibratoren mit Duracell,

vor Tieren mit Kuschelfell.

Vorm Zahnarzt und vorm Bahnhofsklo

Und vorm Fliegen sowieso.

Vor Läusen, Wanzen und Wespennest,

vor Schimmelflecken und Asbest.

Vor Hüftspeck, Weinflecken und Sonnenbrand,

vor Handpuppen mit und ohne Hand.

Ich hab Angst vor der Dunkelheit,

vorm Alter und der Einsamkeit.


Wir Menschen haben alle ständige Angst vor irgendwelchen Sachen. Wir befürchten, dass unschöne Situation oder schlimme Ereignisse eintreten und wir darauf nicht vorbereitet sein könnten und falsch darauf reagieren und deshalb mit schlimmen Konsequenzen rechnen.

Doch am meisten sollten wir uns vor uns selber fürchten und Angst haben, dass alle Verschwörungstheorien richtig sein könnten, und wir vielleicht wirklich in einer Welt leben, in der sich Hass auf Liebe reimt und wir aufgrund der automatisierten Technik jämmerlich verdummen. In einer Welt, in der unsere investigativen Journalisten in einem Gefängnis in der Türkei sitzen, anstatt an ihren Arbeitsplätzen und Kinder im Namen ihres Gottes in den Krieg ziehen, anstatt auf Bäumen ein Abenteuer zu erleben.
In einer Welt, in der ein egozentrischer Vierjähriger an der Weltmacht ist und mit der Abrissbirne durchs Bauwerk der westlichen Werke tobt.

Ich habe Angst, dass wir alle zu wenig Angst davor haben, dass alle Verschwörungstheorien falsch sein könnten.


Ausländerkind