„Lauft weiter, Olivia!
Lauft!“
Mit ihren großen Körben
voller Äpfeln lief die alte Gritt hinkend an Olivia vorbei und blickte
erschrocken zurück. „Lauft weiter, bleib auf keinen Fall stehen, hörst du!
Bleib auf keinen Fall stehen!“
„Ja!“ Schrie Olivia ohne
aufzublicken, „Ich, ich laufe ja! Wir
laufen!“
Doch da war die Alte schon
längst abgebogen und hinter der Straßenbahn ganz verschwunden.
Olivia lief weiter
geradeaus. An einer Hand zog sie Betty hinterher, an der anderen die kleine
Lotte, die mit ihren kleinen Füßchen schon gar nicht mehr den Boden zu berühren
schien. Olivia schnappte sich ihr Kleinstes im Fluge und schwang sie sich
kraftvoll auf die Hüfte. Sie hoffte verzweifelt, so schneller voran kommen zu
können. „Betty, mein Schatz, du musst schneller laufen!“ flehte sie keuchend ihre
ältere Tochter an und zog sie noch schneller hinter sich her. Die Mütze war der
Kleinen längst verrutscht und hin ihr tief ins Gesicht. Durch das holprige
Laufen auf dem unebenen Kopfsteinpflaster zitterten ihre Wangen und die Tränen,
die ihre Augen füllten, fielen wie tonnenschwere Granaten auf ihrem türkisfarbenem
Mantel.
„Ich kann nicht mehr!
Mama, ich kann nicht mehr!“ wisperte Betty stotternd vor sich hin und wischte
sich mit ihrer Stoffpuppe über das Gesicht, während sie immer einen Schritt
hinter ihrer Mutter lief, die sie rasend hinter sich herzog. Olivia fragte
sich, seit wann Lotte nur so schwer geworden war. War sie doch vor eineinhalb
Jahren noch gar nicht geboren. Mit jedem Schritt, den die drei gemeinsam durch
die Straßen rannten, legte sich die schwere Last der Knochen wie ein Bleimantel
über ihre Körper.
Es schien, als würden die
Sterne aus dem Weltall hinunterfallen. Der Himmel teilte sich in Milliarden
leuchtenden Kugeln, die hell leuchtend gegen die Erde schossen. Sie knallten
mit lauten Zischgeräuschen in den Boden und hinterließen große, brennende
Löcher.
Olivia und all die anderen
Menschen in der Stadt liefen. Sie liefen um ihr Leben, wie kleine Schachfiguren
geführt von einer riesigen Hand zwischen den von oben herabfallenden Feuerkugeln.
Olivia und ihre Mädchen
wussten nicht wohin. Nur gerade aus, der Menschenmenge hinterher.
Ein Feuerball traf die
Straßenbahn, die wie ein tosendes Feuerwerk in Feuer aufging. Ein Meer von
Äpfeln wurde durch die Luft gewirbelt und fanden ihre Ruhe direkt vor Olivias
Füßen. „Die Alte! Oh Gott, die alte Gritt!“ wimmerte Olivia mit weit
aufgerissenen Augen. Tränen schossen ihr empor. Erschrocken riss sie Betty ganz nah an sich
ran und wendete mit ihren Töchtern. Sie bog in eine enge Seitenstraße ein,
deren Dächer so nah beieinanderstanden, dass die Feuerbälle vom Himmel wenig
Durchgang fanden. „Mama, wir müssen bei den Menschen bleiben, hat die Alte
gesagt.“ Olivia liebt Bettys gerechte und oft belehrende Art und Weis, jedoch
nicht an diesem Tag. Nicht heute. „Mama, wir laufen falsch!“ Schrie Betty ihre
Mutter mahnend an und riss sich will von Mutters Hand weg.
Olivia blieb stehen und
starrte Betty an. „Bückt euch!“ erschrocken vom lauten Knall eines herunterfallenden
Balkens, drückte Olivia plötzlich ihre Kinder fest gegen eine Hausmauer,
schutzsuchend unter einem breiten Dachvorsatz des halb abgebrannten
Barbiershops. Schützend beugte sie sich über beide Mädchen und presste die
Gesichter der Kinder fest an ihre Brust. Betend blickte sie nach oben, wie die
Feuerbälle kreuz und quer über sie hinwegflogen. Sie hörte die verzweifelten
Schreie der Menschen auf den Straßen. Ein brennender Mensch lief schreiend an
ihnen vorbei, bis er sich in den Pfützen der nassen Stadt aufgegeben hatte.
„Mami, ich habe Angst! Wann hört das auf?“ – „Gleich Schätzchen“ flüsterte
Olivia leise weinend und stich Lotte sanft mit ihren Lippen über die Stirn. „Gleich!“
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