Mittwoch, 28. November 2018

Herzfrequenz

Du schreist und dein Herz schlägt,
zitternd, rosa-zart-blau.
Man hält dich in den Händen
und legt dich nackt, auf diese schöne Frau,
deren Herzfrequenz sich mich deiner vereint
und heute zum ersten Mal wegen dir weint.

Diese Frau, die du ab heute Mama nennst,
die du aus Instinkt an ihrem Herzschlag erkennst.
Diese Frau, die dich in ihrem Inneren hat getragen
und ohne dich jemals davor gesehen zu haben,
hat sie dich geliebt, ab dem ersten Moment,
bedingungslos und ungehemmt.
Ungehemmt und grenzenlos,
uneingeschränkt, bedingungslos.

Diese Frau, die unter Schmerzen, DICH Wunder hat vollbracht,
und von heut an, so lang sie lebt, nun über dich wacht.
Die, die du ab diesem Moment, mehr liebst als dich selbst,
die, du für einen Teil deines Körpers noch hältst.
Du und sie, ihr beide, seid noch ein ICH.
Du bist schon ein Mensch, doch du weißt es noch nicht.

Sie wird dich durch die Kindheit,
in die Erwachsenwelt tragen.
Sie wird niemals fordern,
sie wird niemals klagen.
Sie wird dich Mensch solange tragen,
bis du kraftvoll, stark und ohne Angst
ganz von selbst deine Flügel spannen kannst,
und dich erhebst, aus ihrem sicheren Schoß,
im Geiste halb reif, im Herzen ganz groß,
und sicher fliegst über das Elternhaus,
weit, weit – in die weite Welt hinaus.


Und du fühlst dich bereit für das wahre Leben,
du willst eigene Geschichten erfinden, erleben,
willst Horizonte befliegen,
Grenzen verbiegen
unter dem Sternenhimmel liegen,
hemmungslos leben
und grenzenlos lieben.
Du willst
Aufstehn
Weggehn
Gutgehn
Abgehn
Heimgehn
Schlafengehn
Aufstehn
Weggehn
Gutgehn
Abgehn
Heimgehn
Schlafengehn.

Das halbvolle Glas nur sehn,
auf der Sonnenseite stehn,
auf sicheren Eselbrücken gehn,
und ein Kopf voller Ideen.
Alles ernten, ohne sähn,
viel bekommen, ohne geben,
viel erreichen, wenig streben.
Schlaraffenland und Garten Eden,
Lamaluma, Wonneleben.

Du sagst: „Jetzt fängt mein Leben richtig an!“
Keine Vorschrift, die dich einengen kann.
Kein bis drei Zählen,
wenn du dich nicht waschen willst,
kein Fernsehverbot,
weil du zu spät zu Haus bist,
kein „Solang du die Füße unter meinem Tisch stellst“
kein Redeverbot, weil du die Klappe nicht hältst.


Du willst
frei sein,
blank sein,
unverhüllt.
Leicht sein,
gelöst sein
selbstbestimmt.
Zwanglos,
fessellos
unbewacht,
offen,
entbunden,
splitternackt.

Du wohnst nun ganz allein
und nennst es Selbstständigkeit.
Du triffst solo Entscheidungen
und denkst es ist Entschlossenheit.
Du blickst einsam durchs Fenster
und glaubst an Weitsichtigkeit.
Du hebst dein Glas auf dich
und trinkst auf deine Unabhängigkeit.

Doch Tage kommen und Freunde gehen,
Morgen
wird heute
wie gestern vergehen.
Im Laufe der Zeit hast du die Lust längst verloren,
das Herzblut auf Freiheit, ist bald ganz zugefroren.
dieser Ruf der Ferne, die Sehnsucht nach Leben,
waren weder Erfüllung, noch Wonne, noch Segen.

Du hast die Welt durchsucht zum Erkunden,
doch hast du nie ein Zuhause gefunden.
Liebe kam oft und ist oft erlischt
Die Erinnerung daran ist schmierig verwischt.
Nie wieder war sie so
ungehemmt und grenzenlos,
uneingeschränkt, bedingungslos.
So wie die der Frau, die du längst nur noch Mutter nennst,
an die du mit der Zeit immer seltener denkst.

Die Zeit schwindet dahin, du bist in der Ferne daheim,
diese Frau wird alt, im großen Haus, mit Vater allein.
Sie steht vor dem Tore, mit der Sehnsucht im Blick
und fragt sich, wann kommt ihr Kind, nach Hause, zurück.
Und wenn du sie besuchst, dann bist du gedanklich nicht da.
Bist nur auf der Durchreise, so wie letztes Jahr,

Du sagst nein, zu noch länger bleiben,
aber ja, zu Emails und Nachrichten schreiben.
Nein zu öfter und länger besuchen,
aber ja, zu noch mehr vom leckeren Kuchen.
Du sagst nein,
nein
zu noch mehr Zeit,
zu zweit,
womöglich
aus Verlegenheit.

Und diese Frau,
die du längst nur noch Mutter nennst,
und die du als schönste Frau in deinem Leben kennst,
wird alt. Ihre Augen matt und trübe,
ihr Geist vergesslich, ihre Sinne ganz müde.
Und du lebst in der Ferne, bis irgendwann,
du merkst, dass es so nicht lang weitergehen kann.
Dann spürst du wieder diesen starken Drang,
den innerlich mächtigen, lauten Klang
diesen beruhigend süßen Gesang,
der dir seit dem Tag der Geburt ins Herz gelang.

Du machst dich auf und gehst zu ihr zurück.
Mit einem melancholisch schmerzenden Blick
siehst du sie an und spürst genau,
es wird Zeit zu gehen, für diese Frau.
Diese Frau, die du ab heute wieder Mama nennst,
die du aus Instinkt an ihrem Herzschlag erkennst.

Du weinst und dein Herz schlägt,
zitternd, rosa-zart-blau.
Du hältst ihre Hände
und legst deinen Kopf, auf diese schöne Frau,
deren Herzfrequenz sich mich deiner vereint
und heute, zum letzten Mal, mit dir weint.

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Ausländerkind